In einem vor kurzem entschiedenen Fall vor dem Bundessozialgericht (BSG) wurde der sozialversicherungsrechtliche Status eines „Freelance-Piloten“ verhandelt. Dieser war seit 2015 unter anderem für ein Unternehmen (Klägerin) als selbstständiger Pilot tätig. Die Parteien vereinbarten im „Rahmen-Dienstvertrag über freie Mitarbeiter eines Flugzeugführers (Freelance)“ eine Vergütung von bis zu 300 € pro Einsatztag. Dem Piloten wurde von der Klägerin das Flugzeug einsatzbereit zur Verfügung gestellt.
1. Was hat das Bundessozialgericht zur Scheinselbstständigkeit von Freelance-Piloten entschieden?
Das BSG hat mit Urteil vom 23. April 2024 (Az. B 12 BA 9/22 R) die Revision der Klägerin zurückgewiesen und damit der Deutschen Rentenversicherung (Beklagte) Recht gegeben.
Der für die Klägerin tätige Pilot war während der jeweiligen Einsätze in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Er war demnach nicht, wie von den Parteien ausdrücklich vertraglich vereinbart, als Freelancer tätig, sondern scheinselbstständig. Die Versicherungspflicht bezieht sich allerdings nicht auf den gesamten Zeitraum der Rahmenvereinbarung. Diese gelte nur an den einzelnen Tagen an denen er für die Klägerin tätig wurde.
Das BSG hat allerdings die Abwägungsmaßstäbe in Abweichung von seiner bisherigen Linie modifiziert. Es berücksichtigt weiterhin das Fehlen eines eigenen Flugzeuges als Indiz für eine Scheinselbstständigkeit. Neu ist allerdings, dass dem das Recht, Einzelaufträge abzulehnen, im konkreten Einzelfall nicht entgegenstand.
Der Pilot in jenem Fall hat einen Monat im Voraus Verfügbarkeiten angezeigt, woraufhin ihm Flüge zugeteilt worden sind. Er konnte also nicht jeden einzelnen Flug wählen, etwa nach Lukrativität (so konnte er etwa nicht vor dem Hintergrund eines vereinbarten Tagessatzes nur lukrative, also kurze Flüge annehmen oder solche mit attraktiven Zielen, präferierten Flugzeugen oder Flugzeiten). Vielmehr war er innerhalb seiner Verfügbarkeiten in einen Dienstplan eingeteilt.
Insofern ging das BSG von einer Scheinselbstständigkeit aus, weil der Pilot kein eigenes Flugzeug zur Verfügung gestellt hat und praktisch – trotz monatlicher Verfügbarkeitsanzeigen – in die Betriebsabläufe eingegliedert war.
Möchten Sie sich genauer zu diesem Thema informieren, lesen Sie gerne meinen Beitrag zur “Scheinselbstständigkeit”.
Wesentlich sei dem BSG nach,
„ob und inwieweit im Einzelfall noch Raum für eine unternehmerische Freiheit zur Gestaltung der Tätigkeit mit entsprechenden Chancen und Risiken verbleibt“.
Ein gewichtiges Unternehmerrisiko auf Seiten des Piloten lehnte das BSG im vorliegenden Fall ab. Der Pilot hat sich an den jeweiligen Arbeitstagen in die Organisation der Klägerin eingegliedert. Die Klägerin hat dabei die Details rund um den Auftrag wie beispielsweise den Start und das Ziel des Flugs bestimmt.
Besonders gewichtig wurde der Umstand behandelt, dass der Pilot keine eigenen Betriebsmittel genutzt habe. Die Klägerin hatte ihm kostenlos das Flugzeug zur Nutzung für den Einsatztag bereitgestellt.
2. Änderung der bisherigen Rechtsprechung
Noch 2008 entschied das BSG in einem ähnlich gelagerten Fall gegen die Scheinselbstständigkeit eines Freelance-Piloten.
Im Internet kursieren derzeit Berichte, die suggerieren, dass nun drastische Änderungen in Bezug auf die Scheinselbstständigkeit eintreten und beispielsweise jeder, der kein eigenes Flugzeug besitzt, automatisch als scheinselbstständig gilt.
Wir halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass es zu solch umfassenden Veränderungen kommen wird. Zwar hat das BSG im vorliegendem Fall den Besitz eines eigenen Flugzeugs als Kriterium herangezogen, jedoch war der betroffene Pilot in diesem Fall auch organisatorisch in das Unternehmen eingegliedert.
Der Pilot hatte zwar das Recht, für andere Kunden zu fliegen, er hatte aber keine anderen Kunden (anders als in der Entscheidung BSG 28.5.2008 – B 12 KR 13/07 R, wo der Pilot für sechs Gesellschaften flog und sich für oder gegen jeden einzelnen Flug entscheiden konnte).
Es ist wichtig zu betonen, dass es keine absoluten Maßstäbe gibt, anhand derer Scheinselbstständigkeit festgestellt wird.
3. Zusammenfassung
Die Beurteilung, ob Freelance-Piloten als Scheinselbständige einzustufen sind oder nicht ist, wie aus der bisherigen Rechtsprechung zu entnehmen ist, nicht immer eindeutig vorhersehbar. Es ist daher ratsam, sich als Arbeitgeber mit diesem Thema zu befassen um erhebliche nachträgliche Kosten zu vermeiden.
Im Ergebnis sind die Maßstäbe jedoch strenger geworden, sodass das Risiko gestiegen und die Anforderungen an die Freiheit von Piloten gestiegen sind. Es ist aber erwartungsgemäß nicht absolut ausgeschlossen, einen freien Piloten ohne eigenes Flugzeug zu als freien Mitarbeiter zu beschäftigen.
Ganz risikofrei wird es allerdings nicht mehr möglich sein, solche Piloten zu beschäftigen, weil es keine Entscheidungen (mehr) gibt, an deren Rahmenbedingungen man sich verlässlich orientieren kann.
In meinem Whitepaper „Arbeitsrecht in der Luftfahrt“ gehe ich auf die rechtlichen Besonderheiten der Luftfahrtbranche im Detail ein.
Bei Fragen zum Umgang mit der neuen Rechtsprechung stehe ich jederzeit gern zur Verfügung.
Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
MBA
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator (IHK)
Negotiator (EBS) · Negotiation Master Class (Harvard)
Ballindamm 6 · 20095 Hamburg
t +49 40 2285 11210
dw@danielweigert.de
< zurück zur Newsletter-Übersicht