11 arbeitsrechtliche Fragen zu „Corona“

Derzeit sind Arbeitgeber bzw. Personalabteilungen, aber auch Betriebsräte und Arbeitnehmer besorgt, wie sich die Corona-Krise auf Arbeitsverhältnisse auswirkt und wie damit umzugehen ist. Nachfolgend beantworte ich zwölf Fragen, die sich Personalabteilungen derzeit häufig stellen.

1. Wie kann bzw. muss man als Arbeitgeber Kurzarbeit abwenden?

Nach § 96 SGB III besteht nur ein Anspruch auf KAG, wenn der Arbeitsausfall „unvermeidbar“ ist. Diese Anforderung richtet das Gesetz an Arbeitgeber und Arbeitgeber (Bieback, BeckOK-SozR § 96 SGB III Rn. 22).

Er ist vermeidbar, wenn er durch andere Maßnahmen ausgeschlossen werden kann. In Betracht kommen insoweit der Abbau von Überstunden, die Gewährung von Urlaub oder die Nutzung eines Arbeitszeitkontos oder die Umstellung auf Tätigkeiten, die nicht von Corona betroffen sind.

All dies ist jedoch nur vorrangig, wenn und soweit es im einzelnen Arbeitsverhältnis rechtlich zulässig ist. Das bedarf einer Prüfung des Einzelfalls, die häufig nicht ganz einfach ist.

Zum Urlaub gilt grundsätzlich: Soweit Urlaub schon fest geplant wurde, kann und muss er nicht mehr umverlegt werden. Soweit er noch nicht verplant wurde, kann Zwangsurlaub gewährt werden, sofern das Interesse des Arbeitgebers an der Zwangsbeurlaubung dem Interesse des Arbeitnehmers an der freien Urlaubswahl überwiegt. Das ist in der Regel der Fall, wenn die Voraussetzungen für KAG vorliegen (Bieback, BeckOK-SozR § 96 SGB III Rn. 34).

Im Hinblick auf Überstundenkonten hängt es von der jeweiligen Vereinbarung ab, ob diese noch ausgezahlt werden können bzw. müssen oder ob sie zur Vermeidung von Kurzarbeit verbraucht werden können bzw. müssen. Der Grundsatz ist, dass Überstunden zu vergüten sind. Nur soweit eine rechtliche Grundlage (Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag) besteht, kann bzw. muss er Überstunden durch Freizeitausgleich ausgleichen (BAG 18.09.2001 – 9 AZR 307/00). Generelle Grenzen für den Verbrauch von Überstunden sind in § 96 SGB Abs. 4 S. 3 / 4 SGB III geregelt, etwa Zeitguthaben, das seit länger als einem Jahr besteht.

Praktisch dürfte es derzeit für die Bundesagentur für Arbeit kaum möglich sein, die Voraussetzungen für das KAG im Einzelnen zu prüfen. Insofern ist wohl zu erwarten, dass Anträge ohne nähere Prüfung genehmigt werden.

Merke

Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld setzt voraus, dass der Arbeitsausfall nicht anders vermieden werden kann.

2. Worauf muss man bei der Einführung von Home Office achten?

Im Normalfall sind bei der Einführung von Home Office zahlreiche Aspekte zu beachten, die im Voraus geplant und ggf. mit Arbeitnehmern oder Betriebsrat vereinbart werden sollten. Typische Themen sind Datenschutzfragen, Arbeitsunfälle, die Frage wer, wann und wie oft Home Office machen darf, Missbrauchsprävention gegen „Faulenzer“, Fragen der Kontrolle und Zeiterfassung, Fragen der Ausstattung mit Equipment, die Gewährleistung der Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, Rückrufrechte des Arbeitgebers, eine Verpflichtung zur Arbeit im Home Office und vieles mehr.

In der aktuellen Situation muss man aber pragmatisch vorgehen. Während man grundsätzlich solche Dinge sorgfältig vorbereiten und dann umsetzen sollte, gilt im Moment: Man sollte das Vorhaben zunächst umsetzen und etwaige Fragen/Probleme lösen, wenn sie auftauchen.

Merke

Bei der Einführung von „Home Office“ ist in der Regel vieles zu beachten – während der Krise sollte Home Office aber zunächst eingeführt und alle Regelungen dann nachträglich getroffen werden.

3. Kann ich Arbeitnehmer in „Zwangsurlaub“ schicken?

Nach § 7 BUrlG ordnet – entgegen eines weit verbreiteten Irrtums – der Arbeitgeber die Lage des Urlaubs an. Urlaub wird nicht vom Arbeitnehmer „genommen“, sondern die zeitliche Lage wird nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes vom Arbeitgeber festgelegt. Er muss dabei lediglich die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen. Insofern kann ein Arbeitgeber zwar nicht ignorieren, dass ein Arbeitnehmer etwa lieber im Sommer Urlaub nimmt o.ä.. Jedenfalls dann aber, wenn ein betriebliches Interesse überwiegt, kann er auch gegen den Wunsch von Arbeitnehmern Zwangsurlaub anordnen. Das können auch sechs Wochen am Stück im Frühjahr sein. Insofern ist zu beachten, dass der Urlaub nach dem Willen des Gesetzgebers gerade „zusammenhängend“ gewährt werden soll (§ 7 Abs. 2 BUrlG). Durch Corona bedingte Betriebseinschränkungen sind deshalb in der Regel ausreichende Gründe zur Gewährung von Urlaub. Rechtlich ist das nach der herrschenden Meinung (abgesehen von vereinzelten Mindermeinungen aus Gewerkschaftskreisen) möglich, inwieweit man als Arbeitgeber davon Gebrauch machen möchte, ist eher eine personalpolitische Frage.

Merke

Es ist rechtlich zulässig, Arbeitnehmer in „Zwangsurlaub“ zu schicken, um coronabedingte kurzfristige Krisen zu überbrücken.

4. Kann ich Arbeitnehmern krisenbedingt andere Tätigkeiten zuweisen?

Der Arbeitgeber kann Arbeitnehmern Weisungen nach billigem Ermessen erteilen (§ 106 GewO). Dies gilt allerdings nur, soweit nicht vertraglich eine Tätigkeit konkretisiert ist.

Ist etwa in einem Arbeitsvertrag vereinbart, dass jemand als „Büroassistenz“ eingestellt wurde und enthält der Arbeitsvertrag keine wirksame Versetzungsklausel, dann kann die Büroassistenz z.B. nicht im Lager eingesetzt werden. Entsprechendes gilt für Versetzungsschranken kraft Tarifvertrags oder Betriebsvereinbarung.

Enthält der Vertrag eine wirksame Versetzungsklausel oder ist die Tätigkeit vertraglich nicht spezifiziert, z.B. wenn jemand nur als „Mitarbeiter“ eingestellt worden ist, dann können ihm – nach billigem Ermessen – auch andere Tätigkeiten zugewiesen werden. In extremen Ausnahmesituationen wie der Corona-Krise wird man den Rahmen billigen Ermessens deutlich weiter ziehen können als sonst. So würde es grundsätzlich wohl nicht mehr billigem Ermessen entsprechen, eine Büroassistenz als Lageristin einzusetzen. Vorübergehend während einer besonderen Ausnahmesituation wie der Corona-Krise dürfte das aber in der Regel möglich sein.

Merke

Soweit es vertraglich zulässig ist, können Arbeitgeber in der Krise – vorübergehend und ausnahmsweise –weitergehend andere Tätigkeiten zuweisen als außerhalb der Corona-Krise.

5. Entstehen „betriebliche Übungen“ für den Fall, dass z.B. Home Office während der Corona-Krise länger dauert?

Nein. Eine betriebliche Übung setzt voraus, dass Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers dahin gehend verstehen dürfen, dass er sich vertraglich binden wollte. Das ist jedenfalls ausgeschlossen bei allen Maßnahmen, deren Anlass erkennbar die Corona-Krise ist. Denn insoweit können Arbeitnehmer erkennen, dass der Arbeitgeber die jeweiligen Maßnahmen (eventuell) nicht dauerhaft wünscht. Das gilt etwa für Home Office oder auch die Flexibilisierung von Arbeitszeit.

Merke

Bei Maßnahmen, die erkennbar aufgrund von „Corona“ eingeführt werden, entstehen keine betrieblichen Übungen.

6. Ist die Corona-Krise ein Befristungsgrund bei Neueinstellungen?

Es ist auch denkbar, dass ein Arbeitgeber aufgrund der Corona-Krise vorübergehend zusätzlichen Beschäftigungsbedarf hat. So kann es etwa sein, dass ein Arbeitgeber der im Onlinehandel und Direktvertrieb tätig ist, seinen Schwerpunkt auf den Onlinehandel legt, sodass es dort – vorübergehend – einen höheren Bedarf an Sachbearbeitern bedarf. Ebenso kann es sein, dass er vorübergehend den Ausfall von Mitarbeitern in Quarantäne o.ä. kompensieren muss. Das kann ggf. einen Befristungsgrund nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG („vorübergehender Beschäftigungsbedarf“) darstellen. Vorsorglich ist Arbeitgebern aber zu empfehlen, sachgrundlos zu befristen, soweit möglich. Für diesen Beschäftigungsbedarf dürften zwei Jahre genügen. Es kann auch etwa jemand für wenige Monate befristet eingestellt und die Befristung drei Mal verlängert werden.

Merke

Coronabedingter Beschäftigungsbedarf kann ein Befristungsgrund nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 TzBfG sein.

7. Welche Besonderheiten sind in der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat derzeit zu beachten?

Die größte Besonderheit in der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ist derzeit die Frage, inwiefern der Betriebsrat Beschlüsse per Videokonferenz fassen kann. Dazu habe ich einen detaillierten Newsletter verfasst, der auf meiner Website zur Verfügung steht. Kurz gefasst: Es ist rechtlich umstritten und bisher nicht entschieden, ob Betriebsräte auch per Videokonferenz wirksam Beschlüsse fassen könnten. Betriebsrat und Arbeitgeber sollten deshalb eine gemeinsame Vereinbarung treffen, nach der sich der Arbeitgeber verpflichtet, per Videokonferenz gefasste Beschlüsse anzuerkennen und die Betriebsratsmitglieder sich verpflichten, nach der Krise vorsorglich alle gefassten Beschlüsse rückwirkend zu bestätigen, soweit möglich.

Ferner können coronabedingte Maßnahmen mitbestimmungspflichtig sein. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist auch in der Krise insoweit nicht suspendiert. Corona begründet zwar Eilfälle, aber keine Notfälle. Die bloße Eile suspendiert Mitbestimmungsrechte nicht. Mitbestimmungspflichtig sind etwa Dienstplanänderungen, die Anordnung von Überstunden/Mehrarbeit, die Einführung eines Arbeitszeitkontos, die Anordnung von Verhaltensregeln (Händewaschen etc.), Gesundheitsschutzmaßnahmen u.ä. und insbesondere die Einführung von Kurzarbeit.

Allerdings verschließen sich Betriebsräte nach meinem Eindruck dem Ausnahmecharakter der Situation nicht und handhaben ihre Mitbestimmungsrechte derzeit recht kulant. In Verhandlungen mit dem Betriebsrat sollte man stets klarstellen, dass jede Vereinbarung nur temporär getroffen wird und sämtliche Fragen – nach der Krise – ggf. selbstverständlich gründlicher und sorgfältiger geregelt werden.

Merke

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind in der Corona-Krise nicht suspendiert. Arbeitgeber und Betriebsräte sollten sich darauf einigen, Beschlussfassungen des Betriebsrats per Videokonferenz anzuerkennen.

8. Muss ich am Jahresende Gehaltserhöhungen gewähren?

Nein. Gehaltserhöhungen sind nur verbindlich, wenn sie etwa aus einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung folgen. In diesem Fall sollten von der Krise betroffene Arbeitgeber überlegen, nachzuverhandeln.

Abgesehen davon sind Gehaltserhöhungen stets freiwillig. Auch wenn etwa seit vielen Jahren stets eine Gehaltserhöhung gewährt worden ist, folgt daraus keine betriebliche Übung. Arbeitnehmer müssen also 2020 wohl in vielen Unternehmen damit rechnen, ein Jahr ohne Gehaltserhöhung zu erleben.

Merke

Es gibt keine „betriebliche Übung“ auf Gehaltserhöhungen.

9. Welche Maßnahmen müssen Betriebe treffen, um die Auswirkungen von Corona zu reduzieren?

Arbeitgeber haben nach § 618 BGB eine Fürsorgepflicht im Hinblick auf arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren. § 618 BGB gewährt aber keinen absoluten Gesundheitsschutz. Arbeitgeber müssen immer nur diejenigen Schutzmaßnahmen treffen, die im Hinblick auf die Gefahr verhältnismäßig sind.

Das Problem ist derzeit: Niemand weiß, wie groß die Gesundheitsgefahr tatsächlich ist. Dementsprechend kann es auch unterschiedliche Meinungen darüber geben, welche Präventionsmaßnahmen geboten sind.

Grundsätzlich gilt: Je größer die Infektionsgefahr (etwa durch Kundenkontakt), desto höher der gebotene Vorsorgeaufwand. In Betracht kommen sowohl Ablaufregelungen (Abstandhalter in Filialen, die Planung von Arbeitsabläufen so, dass es möglichst wenig zu Kontakt kommt, die Ermöglichung von Home Office, Besprechungen per Videokonferenz etc.) als auch das Zurverfügungstellen von Desinfektionsmitteln und Schutzmasken. Als grobe „Guideline“ für Nichtjuristen ist in diesem Fall der „common sense“. Unzulässig ist es jedenfalls Arbeitnehmern das Tragen von Schutzmasken zu verbieten. Das hat das Arbeitsgericht Berlin entschieden, als ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer mit Kundenkontakt das Tragen eines Mundschutzes verboten hat (ArbG Berlin 4.3.2020 – 55 BVGa 2341/20).

Merke

Arbeitgeber müssen Maßnahmen treffen, die unter Berücksichtigung der Gefahr einerseits und des Aufwands andererseits verhältnismäßig sind.

10. Behalten Mitarbeiter ihren Vergütungsanspruch, solange sie sich in persönlich angeordneter Quarantäne befinden?

Ordnet eine Behörde – nicht der Arbeitgeber! – vorsorglich Quarantäne an, die sich auf spezifische Arbeitnehmer persönlich richtet, dann verliert der Arbeitnehmer dadurch seinen Vergütungsanspruch für den entsprechenden Zeitraum. Dies allerdings wiederum nur, wenn er nicht in Quarantäne, m.a.W. im Home Office, arbeiten kann.

Allerdings haben Arbeitnehmer in diesem Fall einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IFSG). Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, Arbeitnehmern zunächst den Nettobetrag auszuzahlen, den sie aufgrund des Arbeitsausfalls verlieren (also die Nettovergütung für sechs Wochen und im Anschluss das Krankengeld). Arbeitgeber erhalten dann wiederum den entsprechenden Betrag von der jeweils zuständigen Behörde erstattet. Der Arbeitgeber fungiert insofern also lediglich als administrative „Zahlstellle“ der Behörde. Nach der 6. Woche müssen sich Arbeitnehmer direkt an die Behörde wenden.

Merke

Befinden sich Mitarbeiter in Quarantäne, trägt das wirtschaftliche Risiko die anordnende Behörde.

11. Behalten Mitarbeiter ihren Vergütungsanspruch, die wegen Kita- / Schulschließungen zu Hause bleiben müssen?

Arbeitnehmer können bezahlt zu Hause bleiben, wenn und solange sie unverschuldet und für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund verhindert sind (§ 616 BGB).

Solche persönlichen Gründe können etwa sein, dass aufgrund geschlossener Kindergärten oder Schulen die Kinderbetreuung zu Hause gewährleistet werden muss. Das gilt allerdings nur, wenn es keine anderen Lösungen (Schwiegereltern, Ehepartner o.ä.) in Betracht kommen. Allerdings ist der Entgeltfortzahlungsanspruch zeitlich beschränkt, vertreten werden teilweise drei Tage, die herrschende Meinung vertritt fünf Tage, teilweise werden zehn Tage vertreten.

Ist § 616 BGB im Arbeitsvertrag abbedungen, haben Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus persönlichen Gründen.

Insgesamt sind Schul- und Kitaschließungen also der Risikosphäre des Arbeitnehmers zuzuordnen. Allerdings kann auch insoweit der Arbeitgeber aufgrund des allgemeinen Rücksichtnahmegebots verpflichtet sein, Home Office zu ermöglichen, soweit das unproblematisch ist.

Merke

KiTa- und Schulschließungen fallen weitgehend in die Risikosphäre von Arbeitnehmern.

Ich wünsche viel Glück und Erfolg beim Krisenmanagement !

Bei weiteren Fragen stehe ich jederzeit gern zur Verfügung.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator

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