Betriebsratssitzungen per Videokonferenz während der Corona-Krise

Viele Arbeitgeber und Betriebsräte stehen derzeit vor dem gemeinsamen Problem, dass sie nicht wissen, ob virtuelle Betriebsratssitzungen per Videokonferenz zulässig sind. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales „hilft“ mit der Kundgabe völlig abwegiger Rechtsauffassungen. Der nachfolgende Beitrag bringt Licht ins Dunkel und gibt Praxishinweise.

1. Das praktische Problem

Viele Arbeitgeber und Betriebsräte haben derzeit ein gemeinsames Problem: Sie wissen nicht, ob virtuelle Betriebsratssitzungen per Skype o.ä. zulässig sind und per Videokonferenz Betriebsratsbeschlüsse gefasst werden können.

Das ist ein gemeinsames Problem insbesondere, weil Arbeitgeber derzeit wirksame Betriebsvereinbarungen über Kurzarbeit benötigen. Der Arbeitgeber ist also darauf angewiesen, dass der Betriebsrat einen wirksamen Beschluss fasst. Andernfalls ordnet er Kurzarbeit rechtswidrig an und Arbeitnehmer behalten ihren Vergütungsanspruch. Der Betriebsrat will selbst einen wirksamen Beschluss fassen – weiß aber nicht, ob er das Videokonferenz kann.

MERKE

Es ist nicht abschließend entschieden, ob Betriebsratsbeschlüsse per Videokonferenz wirksam sind.

2. Lethargie des Gesetzgebers

Das Internet gibt es seit 30 Jahren. Seitdem ist umstritten, ob Betriebsräte Beschlüsse per Videokonferenz fassen können. Für den Gesetzgeber waren 30 Jahre zu knapp, um das zu entscheiden.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales versucht, dieses Versagen des Gesetzgebers zu kaschieren. Es erweitert das Absurditätenkabinett abwegiger Rechtsauffassungen, die in den letzten Wochen aus Berlin ertönen, um eine weitere: So hat Hubertus Heil jüngst erklärt, das Betriebsverfassungsrecht sehe zwar eigentlich keine Videokonferenzen für Betriebsräte vor, während der Corona-Krise sei das aber notwendig und deshalb zulässig. Eine rechtliche Begründung fehlt, wohl deshalb, weil eine solche selbst bei größter Phantasie nicht gefunden würde. Die Betriebspartner sollten sich vom BMAS nicht irritieren lassen: Das BMAS ist Teil der Exekutive. Seine Rechtsirrtümer sind nicht konstitutiv und ändern weder die Rechtslage noch die Rechtsprechung.

Im Internet kursieren Gerüchte, es sei „unklar“, ob Gerichte der Rechtsauffassung des BMAS – wenn man sie euphemistisch so bezeichnen will – folgen. Das ist unzutreffend. Bei aller Unklarheit ist eins klar: Der Rechtsauffassung des BMAS, dass Videokonferenzen in Krisenzeiten ausnahmsweise zulässig seien, wird sicherlich kein Gericht folgen.

MERKE

Die „Rechtsauffassungen“, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales derzeit kommuniziert, sind derzeit häufig abwegig, nicht verlässlich und kaschieren das Versagen des Gesetzgebers.

3. Das Rechtsproblem

Das BetrVG regelt nicht ausdrücklich, ob Beschlussfassungen per Videokonferenz möglich sind. Die Rechtsprechung hat die Frage bis dato nicht entschieden, weil in der Praxis keine Videokonferenzbeschlüsse gefasst werden. Auf diese Weise vermeiden Betriebsräte bisher das Problem.

Teilweise wird vertreten, Videokonferenzen seien unzulässig, weil nach § 33 BetrVG Beschlüsse von allen „anwesenden“ Betriebsratsmitgliedern zu fassen seien. „Anwesend“ bedeute physisch anwesend. Somit sei eine Abstimmung per Videochat ausgeschlossen. Bei näherer Betrachtung ist das unzutreffend. Der Begriff „anwesend“ sollte nur Stimmabgaben im Umlaufverfahren, etwa per Brief o.ä. ausschließen. Die Stimmabgabe sollte im Anschluss an einen Diskurs erfolgen. Das ist auch per Videokonferenz möglich. „Anwesend“ ist also auch ein Betriebsratsmitglied, das per Videokonferenz zugeschaltet wird.

Weiter wird vertreten, eine Abstimmung per Videochat verstoße gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit, weil Dritte im Raum sein und unerkannt zuschauen könnten. Auch dieser Ansatz geht fehl. Die bloße Gefahr, dass gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit verstoßen wird, besteht immer. Ebenso könnten Betriebsratsmitglieder etwa ihr Handy während einer Sitzung laufen lassen, sodass Dritte mithören. Die bloß abstrakte Gefahr, das ein Dritter zuschaut, stellt also keinen Verstoß gegen das Gebot der Nichtöffentlichkeit dar. Allerdings gibt es auch mehrere Stimmen, die das anders sehen (instruktiv zum Thema: Thüsing, BB 2019, 372).

Nach alledem sind Videokonferenzen generell zulässig, wobei sich das Risiko der Unwirksamkeit mangels gerichtlicher Entscheidungen derzeit nicht ausschließen lässt.

MERKE

Richtigerweise sind Betriebsratsbeschlüsse per Videokonferenz generell zulässig. Allerdings gibt es zahlreiche Stimmen, die das Gegenteil vertreten. Die Rechtsprechung hat die Frage noch nicht entschieden.

4. Das Risiko „Unwirksamkeit

Ist der Betriebsratsbeschluss unwirksam, zieht das diejenigen Rechtsfolgen nach sich, die unwirksame Betriebsratsbeschlüsse jeweils haben. Ein unwirksamer Widerspruch nach § 99 BetrVG etwa würde bedeuten, dass der Arbeitgeber die begehrte Maßnahme durchführen kann. Ein unwirksamer Beschluss zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung – etwa Kurzarbeit – führt zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung.

MERKE

Derzeit müssen Betriebsräte und Arbeitgeber befürchten, dass virtuell gefasste Betriebsratsbeschlüsse – etwa zur Kurzarbeit – unwirksam sind.

5. Der Umgang mit der Rechtsunsicherheit

Teilweise wird empfohlen, Betriebsräte sollten sicherheitshalber Beschlüsse nach dem Ende der Corona-Krise rückwirkend bei physischer Anwesenheit aller genehmigen. Diese Empfehlung ist sinnvoll, aber nicht ausreichend. Sie ist in zwei Fällen nicht ausreichend:

Zum einen ist sie nicht ausreichend in dem Zeitraum bis zum Ende der Krise. In diesem Zeitraum besteht eine Rechtsunsicherheit über die Wirksamkeit der Beschlüsse. Stellt etwa ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer ein, weil binnen Wochenfrist kein wirksamer Beschluss nach § 99 BetrVG gefasst worden ist, muss der Arbeitnehmer keine Kündigung aussprechen, wenn der Betriebsrat seinen Beschluss später genehmigt. Denn im Zeitpunkt der Maßnahme (Einstellung) war diese rechtmäßig.

Zum anderen gibt es Beschlüsse, die nicht rückwirkend genehmigt werden können. Das geht nur bei schwebend unwirksamen Beschlüssen (vgl. BAG 10.10.2007 – 7 ABR 51/06).

Betriebsräte sollten deshalb die Erklärung des Arbeitgebers einholen, dass er sich nicht auf die Unwirksamkeit von virtuell gefassten Betriebsratsbeschlussen berufen wird. Dann kann der Arbeitgeber sich darauf jedenfalls nicht berufen. Ferner sollten sie, soweit möglich, rückwirkend virtuell gefasste Beschlüsse genehmigen. Sie sollten sich aber darüber bewusst sein, dass diese Praxis nicht generell funktioniert und sich im Zweifel anwaltlich beraten lassen.

Arbeitgeber sollten sich entsprechende Erklärungen von jedem Betriebsratsmitglied einholen. Es sollte sich jedes Betriebsratsmitglied gegenüber dem Arbeitgeber verpflichten, die virtuell gefassten Beschlüsse sicherheitshalber rückwirkend zu genehmigen. Sollten die Betriebsratsmitglieder dagegen verstoßen, drohen jedenfalls Maßnahmen nach § 23 BetrVG. Auf diese Weise können Arbeitgeber zumindest teilweise sicherstellen, dass der Betriebsrat sich an seine virtuell gefassten Beschlüsse halten wird.

MERKE

Die Betriebspartner sollten sich im Wege einer Regelungsabrede jeweils in beide Richtungen zusichern, dass der Arbeitgeber virtuell gefasste Betriebsratsbeschlüsse akzeptiert und der Betriebsrat sicherheitshalber nach der Krise alle Beschlüsse rückwirkend genehmigt.

Bei Fragen zu diesem oder anderen Corona-relevanten Themen wenden Sie sich jederzeit gern an mich.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)

Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
MBA
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator (IHK)
Negotiator (EBS) · Negotiation Master Class (Harvard)

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