Die Neuerungen der Betriebsratsvergütung wurden Ende Juni 2024 mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes beschlossen und sind am 25. Juli 2024 in Kraft getreten. Auslöser der Gesetzesänderung war das VW-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH Az. 10.1.2023 – 6 StR 133/22), welches die strafrechtliche Relevanz der überhöhten Betriebsratsvergütungen des VW-Betriebsrats behandelt.
Durch die Neuerungen hat der Gesetzgeber insbesondere beabsichtigt, die Unsicherheiten, die durch dieses Urteil im Hinblick auf die Vergütung von Betriebsräten entstanden ist, zu beseitigen.
Dieser Artikel erörtert die bisherigen Herausforderungen der Betriebsratsvergütung sowie die gesetzlichen Änderungen und ihre Auswirkungen auf die betriebliche Praxis. Anschließend bewerten wir die Thematik und stellen dar, ob dem Gesetzgeber eine realistische Lösung der größten Problempunkte gelungen ist oder ob dieser sein Ziel verfehlt hat.
1. Das Problem in der Praxis
2. Die „Lösung“ des Gesetzes bisher
3. Die Änderungen jetzt
4. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
5. Bewertung
1. Das Problem in der Praxis
a) Grundsätzliches
Die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern ist ein häufiger Streitpunkt in der Praxis. Der Grundsatz aus § 37 Abs. 4 BetrVG verlangt, dass die Vergütungen von Betriebsratsmitgliedern
„einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“.
Dieser Grundsatz einer Mindestvergütung wird dadurch ergänzt, dass Betriebsratsmitglieder gegenüber anderen Arbeitnehmern weder benachteiligt noch begünstigt werden dürfen (§ 78 S. 2 BetrVG). Betriebsräte sollen also weder besser noch schlechter gestellt werden als andere vergleichbare Arbeitnehmer. Verstöße hiergegen können zur Strafbarkeit des Arbeitgebers führen.
Die Betriebsratstätigkeit ist grundsätzlich ein unentgeltliches Ehrenamt, die Vergütung gilt daher für freigestellte Betriebsratsmitglieder. Viele Betriebsräte sind in der Praxis vollumfänglich freigestellt.
b) Herausforderungen in der Praxis
Die beiden Grundsätze aus §§ 37, 78 BetrVG führen in der Praxis jedoch häufig insbesondere zu folgenden Herausforderungen:
Machtverhältnisse bzw. -missbrauch:
Es kommt regelmäßig vor, dass obwohl Benachteiligungen oder Begünstigungen der Betriebsratsmitglieder strafbar sind, dieses oft die einzigen Instrumente sind, die dem Arbeitgeber verbleiben, um sich wirksam gegen Betriebsräte zu schützen, die ihre Macht unternehmensschädigend missbrauchen. Da Arbeitgeber also nur diese begrenzten Schutzmittel haben, nutzen sie in der Praxis häufig „kleine“ Begünstigungen oder Benachteiligungen, wenn es um die Zusammenarbeit mit stark problematischen Betriebsräten geht.
Dies kann sich beispielsweise im Rahmen von Schulungen darstellen, die trotz nicht vorliegender Erforderlichkeit bezahlt werden, um den Betriebsrat „milde“ zu stimmen. Ein anderes Beispiel ist die Zahlung eines geringeren Ermessensboni.
- Unklare Vergleichsgruppenbildung und betriebsübliche berufliche Entwicklung:
Um Betriebsratsvergütungen zu bemessen, sind Vergleichsgruppen zu bilden, da Betriebsratsmitglieder nicht weniger verdienen dürfen als vergleichbare Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) definiert vergleichbare Arbeitnehmer derart, dass diese im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren.
In der Praxis stellt die realistische Definierung einer Vergleichsgruppe jedoch in der Regel ein Problem dar. Es ist oft unklar, welche Arbeitnehmer in diesen Fällen genau als Maßstab dienen sollen und ob alle Arbeitnehmer mit ähnlichem Qualifikationsniveau berücksichtigt werden, oder nur solche mit derselben Erfahrung und Leistung. Diese Unklarheiten verstärken sich zunehmend mit Größe des Unternehmens, da diese häufig mehrere Standorte und dadurch unterschiedliche Vergütungsniveaus haben.
- Rechtsunsicherheiten und Konflikte:
Da die Betriebsratsvergütung hypothetisch bestimmt wird, kommt es in diesem Zusammenhang häufig zu gerichtlichen Streitigkeiten, die sowohl für Arbeitgeber als auch für Betriebsräte zeitaufwändig und teuer sind.
Das VW-Urteil des BGH führte zu einer Intensivierung dieser Streitigkeiten, da im Nachgang hierzu viele Arbeitgeber die Vergütungen der Betriebsräte präventiv gekürzt haben, aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen.
2. Die „Lösung“ des Gesetzes bisher
Bisher bestand die gesetzliche „Lösung“ darin, die Vergütung nach den Grundsätzen der BAG-Rechtsprechung zu regeln.
Das BAG hat hierzu beispielsweise ausgiebig über Jahre hinweg Maßstäbe aufgestellt, wie eine Vergleichsgruppe festgelegt werden kann oder, dass sich die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern an ihrer fiktiven beruflichen Entwicklung orientieren muss. Das Problem an der bisherigen „Lösung“ des Gesetzgebers ist das Fehlen von klaren gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Kriterien der Betriebsratsvergütung.
3. Die Änderungen jetzt
Die Novellierung der Betriebsratsvergütung bringt folgende Veränderungen:
- Vergleichsgruppenbildung:
Zur Bestimmung der Vergleichsgruppe ist der Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes maßgeblich. Änderungen sind zulässig, wenn sachliche Gründe für eine spätere Neubestimmung vorliegen, wie beispielsweise eine Beförderung des Betriebsratsmitglieds.
- Betriebsvereinbarungen:
Arbeitgeber und Betriebsrat können eine Betriebsvereinbarung zum Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer treffen.
- Eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit:
Betriebsvereinbarungen und Festlegung der Vergleichspersonen, soweit einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt, kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden, wodurch die gerichtliche Anfechtung erschwert wird.
- Keine Begünstigung oder Benachteiligung:
Im Hinblick auf die Vergütung des Betriebsratsmitglieds liegt keine Begünstigung oder Benachteiligung mehr vor, wenn das Betriebsratsmitglied in seiner Person, die für die Gewährung der Vergütung erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.
Diese Neuerungen sollen laut Gesetzgebung einen wesentlichen Schritt darstellen, um Streitigkeiten zu vermeiden und die Vergütung fairer zu gestalten.
4. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG steht Betriebsräten, beim Thema betriebliche Lohngestaltung, ein umfassendes Mitbestimmungsrecht zu. Dieses Mitbestimmungsrecht hat, wegen des in § 87 BetrVG geltenden Tarifvorrangs, bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern eine große Bedeutung.
Der Lohnbegriff umfasst grundsätzlich alle Leistungen des Arbeitgebers, die als Gegenwert für die von den Arbeitnehmern erbrachten Leistungen gewährt werden. Dies umfasst insofern auch die Kriterien der Betriebsratsvergütung einschließlich der Neuerungen der Gesetzgebung.
Da die betriebsspezifische Umsetzung der Vergütungsgrundsätze in der Regel nicht automatisch vorgegeben ist, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. Das bedeutet, dass
- Arbeitgeber die Bemessungskriterien nicht einseitig ohne den Betriebsrat festlegen dürfen.
- Die betriebliche Vergütungsordnung und deren Umsetzung für Betriebsratsmitglieder gemeinsam mit dem Betriebsrat ausgearbeitet werden muss.
Die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG stellt sicher, dass der Betriebsrat an der Festlegung der betriebsspezifischen Bemessungskriterien beteiligt wird. In der Praxis bleibt die konkrete Umsetzung jedoch konfliktanfällig, da beispielsweise die Festlegung von „vergleichbaren Arbeitnehmern“ und „betriebsübliche beruflicher Entwicklung“ viel Raum für Interpretation bietet.
5. Bewertung
Auf den ersten Blick stellt die Novellierung einen Schritt in die richtige Richtung und eine gewisse Rechtssicherheit dar, wie beispielsweise an Flexibilisierung des Vergleichszeitpunkts zu sehen ist. Doch auch hier stellt sich die Frage, wann ein sogenannter „sachlicher Grund“ für eine spätere Neubestimmung der Vergleichsgruppe vorliegen soll.
Das grundsätzlich in der Praxis sehr weit verbreitete und im Gesetz angelegte Problem der Betriebsratsvergütung wurde durch die Neuerung leider nicht beseitigt. Der Gesetzgeber hat durch die Neuerungen lediglich bestehende Praktiken der gängigen BAG-Rechtsprechung kodifiziert.
Ein Beispiel hierfür ist die Regelung, dass Arbeitgeber und Betriebsrat, nun in § 37 Abs. 4 BetrVG schriftlich niedergelegt, eine Betriebsvereinbarung hierzu festlegen können. Dies war bisher schon übliche Praxis, sodass es überflüssig erscheint, dies gesetzlich zu verschriftlichen.
Die Neuerung des Gesetzes lässt ebenso weiterhin offen, wie in Fällen zu verfahren ist, wenn in Unternehmen vergleichbare Arbeitnehmer fehlen. Insgesamt hat die Neuerung im Ergebnis ihr Potential verfehlt. Die Neuregelung könnte daher als eine unnötige Bürokratisierung interpretiert werden, die vor allem formale Anforderungen erhöht, ohne die Praxis substanziell zu verändern. Das Thema der Vergütung von Betriebsräten bleibt schlussendlich eine Herausforderung für Arbeitgeber und Rechtsprechung.
Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
MBA
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator (IHK)
Negotiator (EBS) · Negotiation Master Class (Harvard)
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