Strategien gegen hohe Krankenstände – Der Umgang mit kranken Mitarbeitern und Blaumachern

Hohe Krankenstände sind ein Problem. Im Durchschnitt ist ein Arbeitnehmer 16,7 Arbeitstage pro Jahr krank (https://www.baua.de). Das entspricht wirtschaftlich in etwa einem halben Monatsgehalt pro Jahr an Entgeltfortzahlungskosten. Bereits einem kleinen Unternehmen mit 100 Mitarbeitern und Durchschnittsgehältern entstehen dadurch Kosten in Höhe von EUR 52.600,00 pro Jahr. Hinzu kommen unter Umständen Betriebsablaufstörungen. Wenn Unternehmen keine proaktive Personalstrategie betreiben, führt das im schlimmsten Fall zu einer „Gelber-Schein-Kultur“ – in der das „Blaumachen“ in der Belegschaft nicht mehr missbilligt wird. Nachfolgend werden Ansätze dargestellt, wie Arbeitgeber gegen hohe Krankenstände vorgehen können.

 

1. Erster Schritt: Kategorisierung

Ein weit verbreiteter Fehler von Personalabteilungen ist es, nicht zwischen verschiedenen Ursachen von Fehlzeiten zu differenzieren. Ein zuverlässiger Mitarbeiter, der nach 20 Jahren guter Arbeit einen Bandscheibenvorfall hatte, wird man anders behandeln müssen als einen Mitarbeiter, den man persönlich ohnehin für einen „Blaumacher“ hält. Grundsätzlich erscheinen drei Kategorien sinnvoll, die sich jeweils im Hinblick auf ihren Problemkern unterscheiden.

 

  • Kategorie 1: Zuverlässige Mitarbeiter, gesundheitlich ernsthaft beeinträchtigt.
    • Problemkern: Gesundheitszustand.
  • Kategorie 2: Bleiben „bei jeder Kleinigkeit zu Hause“.
    • Problemkern: Motivationsdefizit.
  • Kategorie 3:Blaumacher“, die Arbeitsunfähigkeiten vortäuschen.
    • Problemkern: Betrug.

 

Ist man sich unsicher, wie ein Arbeitnehmer zu kategorisieren ist, hilft in aller Regel ein Personalgespräch. Erfahrungsgemäß geben Mitarbeiter mit seriösen Leiden gern Auskunft darüber. Teilweise haben sie ein schlechtes Gewissen. Der typische „Blaumacher“ hingegen wird schnell misstrauisch, aggressiv und zieht sich darauf zurück, sein Gesundheitszustand gehe den Arbeitgeber nichts an.

Merke

Trennen Sie ganz klar nach der Ursache der Fehlzeiten. Das Problem „Fehlzeiten“ kann auf den Gesundheitszustand oder die innere Haltung des Arbeitnehmers zurückzuführen sein. Diese beiden Kategorien sind völlig unterschiedlich zu behandeln!

 

2. Kategorie 1: Hilfe und Prävention

Für Mitarbeiter der Kategorie 1 kommen eventuell Hilfs- und Präventionsmaßnahmen in Betracht.

Denkbar wäre, das Personalgespräch zu suchen und dem Arbeitnehmer Hilfe anzubieten. Es könnten Therapieangebote gemacht werden. Sind Krankenstände in einem Bereich ein Gruppenphänomen, etwa bei körperlicher Arbeit, können auch Umfragen helfen, Missstände aufzudecken. Es kann durchaus Sinn machen, auch Geld zu investieren, um Gesundheitsursachen zu beseitigen. Fehlt etwa ein Mitarbeiter regelmäßig wegen Rückenschmerzen, kann es wirtschaftlich sinnvoll sein, ihm einen höhenverstellbaren Schreibtisch zu kaufen. Die Kosten sind bereits amortisiert, wenn seine Krankheitstage dadurch um wenige Tage abnehmen.

Außerdem bieten zahlreiche Krankenversicherungen kostenlose Hilfen, etwa Workshops und Situationsanalysen für Arbeitgeber an. Entsprechendes gilt für private Institute, die Gesundheitsberatung für Arbeitgeber anbieten. Diese arbeiten jedoch erfahrungsgemäß sehr unprofessionell. Sie stellen nach meinem Eindruck eher ein teures Placebo für das Arbeitgebergewissen dar als eine echte Hilfe.

Viele Unternehmen nutzen schon auf dieser Stufe das betriebliche Eingliederungsmanagement („bEM“; § 167 SGB IX). Das ist jedoch nicht zu empfehlen. Solange es um eine ernsthafte, offene Lösungssuche geht und das zwischenmenschliche Verhältnis nicht gestört ist, kann ohne Weiteres auch in informellen Gesundheitsgesprächen nach Lösungen gesucht werden. Das bEM erweckt einen formellen Anschein und wirkt etwa durch die Erwähnung einer möglichen Kündigung im Einladungsschreiben eher bedrohlich. Bei einem Arbeitnehmer, der ohnehin offen und gesprächsbereit ist, wirkt eine bEM-Einladung kontraproduktiv.

Sollten Hilfs- oder Präventionsmaßnahmen nicht helfen, kommt auch bei Mitarbeitern der Kategorie 1 eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht.

Merke

Auch erfolglose Präventionsmaßnahmen machen jedenfalls dem Mitarbeiter und seinen Kollegen bewusst, dass das Problem gesehen und angegangen wird.

 

3. Kategorie 2: Warnschüsse

Bei Mitarbeitern der Kategorie 2 ist der Kern des Problems die fehlende Motivation und Disziplin bzw. eine zu lockere Einstellung zum Thema „Krankmeldung“. Die Problemlösung ist insofern nicht die Gesundheitsförderung, denn man geht davon aus, dass sie durchaus häufiger arbeiten könnten. Bei diesen Mitarbeitern sollte zunächst das Gefühl geschaffen werden, dass der Arbeitgeber ein Auge auf sie hat.

Bei diesem Mitarbeitertypus können folgende Maßnahmen Lösungsansätze darstellen:

  • Ein bEM (§ 167 SGB IX). Insbesondere durch einen formalisierten Prozess und die Erwähnung arbeitsrechtlicher Maßnahmen im Einladungsschreiben sensibilisiert ein bEM Mitarbeiter typischerweise.
  • Es kann angeordnet werden, dass eine AU jeweils bereits ab dem ersten Fehltag einzureichen ist.
  • Sofern der Arbeitnehmer Überstunden angesammelt hat, können diese während seiner Arbeitsunfähigkeit abgebaut werden. Das übersehen zahlreiche Arbeitgeber. Meldet sich ein Arbeitnehmer etwa am Montag für eine Woche krank, kann grundsätzlich angeordnet werden, dass er von Dienstag bis Freitag Überstunden abbaut. Dadurch entfällt die Arbeitspflicht und dementsprechend auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
  • Auch Krankenbesuche -Anrufe sind grundsätzlich zulässig.
  • Sofern der Arbeitnehmer die Formalia des EFZG missachtet, nämlich die Pflicht zur unverzüglichen Krankmeldung und rechtzeitigen Abgabe einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (§ 5 EFZG), kann der Verstoß abgemahnt werden.
  • Sofern man Anhaltspunkte dafür hat, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig sein könnte, dürfte auch der Ausspruch einer „Verdachtsabmahnung“ eine psychologische Wirkung entfalten.
  • Eine Option ist die Versetzung auf eine Position, die dem Arbeitnehmer weniger gefällt bzw. auf der sein Fehlen geringere Auswirkungen hat. Zunächst kann eine solche Versetzung auch nur angedroht
  • Aufgrund vertraglicher Vereinbarung (§ 4a EFZG) können in einem gewissen Umfang wegen hoher Fehlzeiten Gratifikationen gekürzt
  • Es können Anwesenheitsprämien ausgelobt werden.
  • Die Aufforderung zur Arbeit im „Home Office. Hintergrund ist das Missverständnis, dass es eine absolute Arbeitsunfähigkeit gebe. Das ist nicht der Fall. Die Arbeitsunfähigkeit ist relativ zur Tätigkeit zu bestimmen. Etwa ein Servicemitarbeiter, der den ganzen Tag mit Kunden telefoniert, kann dies bei nahezu jeder Krankheit auch zu Hause durchführen.
  • Bei „Burnouts“ kommt in Betracht, den Mitarbeiter abzumahnen, weil er seine Überlastung auf dem Weg zum Burnout pflichtwidrig nicht mitgeteilt hat.
  • Keine Option ist aufgrund der datenschutzrechtlichen Unzulässigkeit die Bekanntgabe von Krankheitsstatistiken einzelner Mitarbeiter.

 

Sofern ein Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beabsichtigt und er dafür einen Kündigungsgrund benötigt, sollten sowohl die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung als auch – falls es insoweit konkrete Indizien gibt – die Kündigung wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit in Betracht.

Merke

Es gibt nicht nur „Hilflosigkeit“ auf der einen und „fristlose Kündigung“ auf der anderen Seite. Es gibt zahlreiche Zwischenstufen, die in der Praxis häufig übersehen werden.

 

4. Kategorie 3: Kampfmaßnahmen

Ein besonderes Problem sind Mitarbeiter der Kategorie 3: „Blaumacher“. Sie verursachen nicht nur Kosten, sondern auch atmosphärische Störungen. Versäumen Arbeitgeber, gegen diese Mitarbeiter vorzugehen, entwickelt sich zunächst Neid und Wut in der Belegschaft, in einem nächsten Schritt Trotz („Wenn er ständig fehlt, kann ich das auch“) und schließlich – im Worst Case – eine „Gelber-Schein-Kultur“.

 

a)    Schritt 1: Suche nach Indizien

Misstraut man einem Arbeitnehmer, aber es fehlen noch hinreichend klare Indizien, dass die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht ist, kann man auf folgenden Wegen weitere Indizien suchen:

  • Die Suche nach Auffälligkeiten in den Krankmeldungen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, etwa:
    • Häufig wechselnde Ärzte
    • Ärzte, die weit vom Wohnort entfernt liegen
    • Rückdatierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
    • Wechselnde 6-Wochen-Erkrankungen
    • Typische „Blaumacher-Krankheiten
    • Häufig wechselnde Krankheiten
    • Fachfremde Bescheinigungen (Internist bescheinigt „Burnout“)
    • Häufige „Montagserkrankungen“ oder „Brückentag-Erkrankungen
    • Angekündigte Krankmeldung nach einer Meinungsverschiedenheit?
    • Neue „Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“? (https://www.danielweigert.de/publikationen-1/newsletter/)
  • Die Befragung von Kollegen. Es kommt durchaus vor, dass Mitarbeiter vertrauten Kollegen erzählt haben, was sie tun bzw. dass sie die Arbeitsunfähigkeit vortäuschen und nicht alle Kollegen sind so loyal, wie „Blaumacher“ glauben – vor allem diejenigen nicht, die sich von dem „Blaumacher“ ausgenutzt fühlen.
  • Die Anhörung des Mitarbeiters, wobei naturgemäß keine Pflicht zur Auskunft über seine Krankheit besteht.
  • Die Durchsuchung der sozialen Medien (Facebook, Google etc.) nach Fotos oder die Lokalisierung des Diensthandys, um herauszufinden, wo sich der Arbeitnehmer befindet (Eckert, BC 2009, 82, 85).

Die Beauftragung eines Detektivs. Besteht etwa der Verdacht, dass sich ein Arbeitnehmer krankmeldet, um in Ruhe umziehen zu können, kann ein Detektiv zur Beobachtung seines Hauses beauftragt werden. Allerdings sind der Beauftragung eines Detektivs nach der Rechtsprechung Grenzen gesetzt, die im Einzelfall zu prüfen wären.

Merke

Der „gelbe Schein“ ist  keine heilige Schrift. Sein Beweiswert kann erschüttert werden. Arbeitgeber müssen das „Blaumachen“ nicht beweisen. Es genügt bereits, wenn sie Indizien finden, die den Beweiswert entkräften.

b)    Schritt 2: Maßnahmen

Besteht nach alledem aufgrund konkreter Indizien der Verdacht, dass ein Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit nur vortäuscht, kommen neben den Methoden aus „Kategorie 2“ zahlreiche weitere Reaktionen in Betracht.

  • Denkbar wäre, den attestierenden Arzt über den Arbeitsplatz zu informieren. Das hat zwei Vorteile: Zum einen ist die Arbeitsunfähigkeit arbeitsplatzbezogen zu attestieren. Nur wenn ein Arzt weiß, was ein Arbeitnehmer konkret tut, kann er beurteilen, ob der Arbeitnehmer in Bezug auf diese Tätigkeit arbeitsunfähig ist. Es kommt durchaus vor, dass ein Arbeitnehmer behauptet, körperlich zu arbeiten, obwohl er tatsächlich nur am Schreibtisch sitzt. Außerdem droht Ärzten bei dem Ausstellen von Gefälligkeitsattesten ein Schadensersatzanspruch (§ 106 Abs. 3a SGB V) und eine Strafe (§ 278 StGB). Insofern werden Ärzte vorsichtiger, wenn sie wissen, dass ein Rechtsstreit möglich erscheint.
  • In Betracht kommt, den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu veranlassen, die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu prüfen. Dazu müssen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen (§ 275 Abs. 1a SGB V).
  • In Betracht kommt, das Gehalt für den Zeitraum einzubehalten, zu dem der Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit besteht. Dem Arbeitnehmer bleibt dann nur der Klageweg. Ob er diesen Weg beschreitet, ist nicht gesagt. Selbst wenn er das tut und den Prozess gewinnt, hatte er jedenfalls Stress und Kosten, da er seine eigenen Anwaltskosten selbst trägt (§ 12a ArbGG).
  • Besteht der Verdacht gegen einen konkreten Arzt, Gefälligkeitsatteste auszustellen, kommen auch Maßnahmen gegen den Arzt in Betracht. Es kann dann sowohl der MDK als auch die Kassenärztliche Vereinigung oder die Ärztekammer informiert werden. Allein die Prüfung des Arztes durch diese Gremien wird dazu führen, dass jedenfalls der betroffene Arbeitnehmer von jenem Arzt keine Gefälligkeitsatteste mehr erhält.

Schließlich kommt der Ausspruch einer außerordentlichen, fristlosen Verdachtskündigung wegen einer (vermutlich) vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit in Frage.

Merke

Je offensichtlicher und dreister das „Blaumachen“ des Arbeitgebers ist, desto offensiver sollte man ihm begegnen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, mit dem Thema umzugehen – auch wenn die Indizien für eine fristlose Kündigung nicht genügen.

 

5. Fazit

Die Möglichkeiten von Arbeitgebern, gegen hohe Krankenstände vorzugehen, sind vielfältiger als weitgehend angenommen. Zwar sind die gesetzlichen Hürden sehr hoch, sodass es einer gewissen Kreativität und Flexibilität bedarf. Gleichwohl besteht für das Gefühl völliger Machtlosigkeit gegen „gelbe Scheine“, die zahlreiche Arbeitgeber empfinden, in dieser Einseitigkeit kein Anlass.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator

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