Agile Arbeit und Scrum aus arbeitsrechtlicher Perspektive

Im Zeitalter des „New Work“ wird Arbeit immer digitaler und flexibler. Drei Arten der inhaltlichen Flexibilisierung sind agile Arbeit, insbesondere Scrum, sowie Crowdworking (dieses behandle ich in einem separaten Artikel). Nachfolgend wird agile Arbeit und das Scrum-Modell dargestellt – insbesondere  Möglichkeiten und arbeitsrechtliche Grenzen.

 

1. Was ist „agile Arbeit“?

Der Begriff der agilen Arbeit ist sehr vage. Jedenfalls meint er Strukturen, die eine gewisse Schnelligkeit, Eigenverantwortung, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität gewährleisten. Ursprung des Begriffs ist eine Methode der Softwareentwicklung. Die personalstrategische Dimension des Themas kann hier nicht erörtert werden. Im Wesentlichen: Modelle agiler Arbeit zeichnen sich dadurch aus, dass hierarchische Strukturen aufgelöst und durch cross-funktionale Teams („Squads“) ersetzt werden. Die Teams werden nicht nach Hierarchiezuordnungen, sondern jeweils nach Kompetenzen projektbezogen zusammengestellt. Führungskräfte werden eher als Coaches und weniger als Weisungsgeber verstanden. Sie üben insbesondere kein Direktionsrecht im Sinne des § 106 GewO und keine Disziplinarfunktion aus.

Ein Beispiel:

In einer hierarchischen Struktur gibt es einen Projektleiter, unter ihm drei Projektbereichsleiter und diese führen jeweils ein Team aus drei Mitarbeitern, die den jeweiligen Projektbereich umsetzen.

In einer agilen Struktur interagieren alle 13 Personen grenzenlos untereinander im Sinne einer Matrix anstatt eines Organigramms.

Merke

Agile Arbeit sind Teamstrukturen, die nicht hierarchisch, sondern matrixartig gestaltet sind und sich durch Eigenverantwortung von Projektteams auszeichnen.

2. Was ist „Scrum“?

Scrum“ ist die derzeit meist genutzte agile Arbeitsmethode. Insbesondere Handelsunternehmen sind weitgehend Scrum-orientiert. Bei Scrum existieren typischerweise drei Rollen. Der Product Owner verantwortet die Konzeption und teilt das Konzept in Arbeitsaufträge auf. Der Scrum Master moderiert das Entwicklungsteam, er wird weitgehend als eine Art Coach (statt „Führungskraft“) verstanden. Das Entwicklungsteam ist zusammengesetzt aus Personen mit den jeweils notwendigen Kompetenzen. Es organisiert sich weitgehend selbst. Meist wird das Projekt in Zwischenschritte, sogenannte „Sprints“ aufgeteilt. Weder Product Owner noch Scrum Master geben dabei fachliche Weisungen. Scrum ist bei Unternehmen insbesondere im kreativen Bereich beliebt, bei der Produkt- oder Strategieentwicklung, Marketing- oder Saleskonzepten. Bei standardisierten Prozessen (etwa Gehaltsabrechnungen) hingegen eignet sich Scrum nicht.

Merke

Scrum ist ein Modell agiler Arbeit, bestehend aus einem Product Owner, einem Scrum Master und einem Entwicklungsteam.

3. Arbeitsrechtlicher Rahmen agiler Arbeit

In arbeitsrechtlicher Hinsicht hat agile Arbeit folgende Implikationen:

In agilen Teams werden in der Regel keine Weisungen erteilt oder Disziplinarfunktionen ausgeübt. Agile Teams sind keine hierarchischen Konstrukte. Das bedeutet aber nicht, dass der Arbeitgeber keine Weisungen erteilen oder disziplinarische Maßnahmen erteilen könnte. Zu klären ist, ob sich die Reichweite der Eigenorganisation auch auf die Festlegung von Urlaubszeiten, Arbeitstagen oder die Vereinbarung vergütungsrelevanter Performanceziele erstrecken soll.

Erschwert wird in agilen Strukturen die Skalierbarkeit der Arbeitsleistung, weil Aufgaben nicht mehr Einzelpersonen übertragen werden. Dementsprechend wird auch erschwert, einzelne für Fehler oder auch vertragswidriges Verhalten verantwortlich zu machen.

Agile Systeme setzen sehr weitgehende Tätigkeitsbeschreibungen im Arbeitsvertrag voraus. Wer als „Lohnabrechner“ eingestellt wird,  darf grundsätzlich nicht gegen seinen Willen mit anderen Aufgaben als der Lohnabrechnung betraut werden.

Wird eine Führungskraft durch die Einführung agiler Strukturen zu einem gleichrangigen Teammitglied degradiert, kann das eine Änderungskündigung erforderlich machen.

Oftmals werden agile Strukturen in Verbindung mit „Shared Desk“-Konzepten eingeführt. „Shared Desk“ bedeutet, dass Arbeitnehmer keine festen Büroplätze mehr haben, sondern dass ihr örtlicher Arbeitsplatz flexibel ist. Arbeitsrechtlich ist das zulässig.

Außerdem bietet es sich an, agile Strukturen in Verbindung mit flexiblen Arbeitszeitstrukturen einzuführen, weil projektbezogene Arbeit typischerweise mit wechselnder Intensität verbunden ist.

Werden externe Experten in ein Projektteam eingegliedert, besteht die Gefahr einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung oder Scheinselbstständigkeit. Beides kann für Arbeitgeber schwerwiegende Folgen (fingiertes Arbeitsverhältnis, Sozialversicherungspflichten, Strafbarkeitsrisiko) haben. Insofern sollte vor der Eingliederung externer Experten stets genau dafür vorgesorgt werden, dass keine Arbeitnehmerüberlassung und keine Scheinselbstständigkeit vorliegen.

Merke

Die Einführung agiler Methoden setzt in vielerlei Hinsicht die sorgfältige arbeitsrechtliche Vorbereitung voraus.

4. Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung agiler Arbeit

Je nachdem, wie die agile Arbeit ausgestaltet wird, können Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats betroffen sein.

In der Bildung eines agilen Projektteams dürfte in der Regel eine Versetzung in Bezug auf die einzelnen Teammitglieder vorliegen, sodass die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG erforderlich ist. Eine Versetzung liegt vor, wenn ein neuer Arbeitsbereich für mindestens einen Monat übertragen wird oder wenn dieser mit einer erheblichen Änderung der Arbeitsumstände verbunden ist. Ist der Wechsel zwischen agilen Teams gerade typisch für das Arbeitsverhältnis, kann darin keine Versetzung mehr gesehen werden. Das ist im Einzelfall zu beurteilen.

Schwieriger werden dürfte auch die Eingruppierung von Arbeitnehmern in tarifliche Vergütungssysteme (§ 99 BetrVG). Tarifliche Vergütungssysteme orientieren sich an festen Tätigkeiten und nicht an flexiblen Projekteinsätzen. Dieses Problem wäre jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweiligen Tarifvertrags zu klären.

Neben dem allgemeinen Informationsanspruch des Betriebsrats aus § 80 Abs. 2 BetrVG ist er auch nach § 90 Abs. 1 S. 3 BetrVG zu informieren, weil die Einführung agiler Strukturen eine Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen darstellt.

Wenn mit der Einführung agiler Strukturen auch flexible Arbeitszeitsysteme verknüpft werden, dann folgt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats insoweit aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. In der Regel dürfte das der Fall sein.

In aller Regel werden Projektteams IT-Systeme bzw. Software nutzen, die zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle geeignet ist. Das wäre mitbestimmt nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.

Wenn sich mit agiler Arbeit das Arbeitsumfeld ändert (Open Space Office, Desk Sharing) kann das auch im Hinblick auf Gesundheitsprävention relevant sein. Insoweit folgt ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.

Oftmals bestehen betriebliche Vergütungssysteme, die mit der Einführung agiler Strukturen obsolet werden. Soll ein Vergütungssystem eingeführt werden, dass agile Strukturen berücksichtigt, folgt ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

Jedenfalls ist mit der Einführung agiler Methoden bzw. Projektteams ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 13 verbunden, weil stets Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit festgelegt werden können.

Typischerweise wird mit der Umstellung auf agile Strukturen auch eine Personalplanung verbunden sein. Insofern hat der Betriebsrat einen Beratungsanspruch nach § 92 Abs. 1 BetrVG.

Schließlich kann die Umstellung auf agile Projektorganisation eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG darstellen. Dann ist mit dem Betriebsrat ein Sozialplan und Interessenausgleich zu verhandeln. Gründe dafür kann die Änderung von Abteilungen oder Hierarchiestrukturen, aber auch die Fremdvergabe von Aufgaben („Outsourcing“) sein. Entscheidend ist jeweils, ob die Änderungen „grundlegend“ sind, also ein gewisses Gewicht haben.

Merke

Die Einführung agiler Methoden ist in der Regel weitgehend mitbestimmungspflichtig.

5. Zusammenfassung

Agile Arbeitsformen, insbesondere Scrum, sind auf dem Vormarsch und werden es bleiben. Arbeitsrechtlich sind sie nicht ganz unkompliziert und bedürfen einer sorgfältigen Vorbereitung bei der Einführung und Umsetzung. Wenn Sie dabei Hilfe benötigen, stehe ich jederzeit gern zur Verfügung.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator

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