Anderweitige Verdienstmöglichkeiten während eines Kündigungsschutzverfahrens

Ein Kündigungsschutzverfahren dauert mindestens mehrere Monate. In diesem Zeitraum steht nicht fest, ob noch ein Arbeitsverhältnis besteht. Gewinnt ein Arbeitnehmer das Verfahren, drohen Arbeitgebern hohe Gehaltsnachzahlungen. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stärkt insoweit die Position von Arbeitgebern und gibt insbesondere ein neues Verhandlungsdruckmittel in die Hand: Die erweiterte Möglichkeit, unterlassenen Zwischenverdienst anzurechnen.

  1. Anrechnung von Zwischenverdienst
  2. Rechtsprechungsänderung zur Beweisbarkeit und zur Arbeitsuchendmeldung.
  3. Verhandlungsstrategische Überlegungen.

 

1. Anrechnung von Zwischenverdienst

Gewinnt ein Arbeitnehmer ein Kündigungsschutzverfahren, muss er sich den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens anderweitig verdient hat oder zu verdienen böswillig unterlassen hat (§ 11 KSchG). Entsprechendes gilt in allen anderen Situationen bezahlter Freistellung, also etwa auch, wenn ein Arbeitnehmer während des Laufs der Kündigungsfrist bezahlt freigestellt wird (BAG 11.10.2006 – 5 AZR 754/05).

Ein Arbeitnehmer unterlässt Zwischenverdienst insbesondere böswillig, wenn er die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert (BAG 17.11.2011– 5 AZR 564/10). Dazu muss er wissen, dass es eine Arbeitsmöglichkeit gibt, die ihm zumutbar ist (BAG 19.3.1998 – 8 AZR 139/97). Die Zumutbarkeit ist im Einzelfall objektiv zu beurteilen. Auf das jeweilige Gefühl des Arbeitnehmers kommt es nicht an. Entscheidend ist etwa, ob es sich um eine Statusverschlechterung handelt oder um eine wesentlich geringer vergütete Tätigkeit und in welcher Entfernung die neue Stelle läge (Bis zu zwei Stunden: LAG Köln 21.6.2005 – 13 (5) Sa 179/05). . Es sind aber auch alle anderen Umstände des Einzelfalls in Bezug auf die Beschäftigungsmöglichkeit zu berücksichtigen.

Merke

Während eines Annahmeverzugs ist böswillig unterlassener Zwischenverdienst auf Nachzahlungsansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen!

 

2. Rechtsprechungsänderung zur Beweisbarkeit und zur Arbeitsuchendmeldung

Bisher war § 11 KSchG für Arbeitgeber ein „stumpfes Schwert“. So war bisher der Arbeitgeber allein in der Beweispflicht darüber, dass der Arbeitnehmer böswillig Zwischenverdienst unterlassen hat. Das ist Arbeitgebern in aller Regel nicht bekannt. Arbeitgeber wissen etwa in der Regel nicht, welche Jobangebote ein Arbeitnehmer von der Bundesagentur für Arbeit erhält.

Ein neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts ändert das. Danach muss ein Arbeitnehmer ab sofort auf Anfrage des Arbeitgebers Auskunft über die Arbeitsangebote geben, die ihm von der Bundesagentur für Arbeit vorgelegt worden sind (BAG 27.5.2020 – 5 AZR 387/19). Zwar setzt der Auskunftsanspruch voraus, dass Zwischenverdienst wahrscheinlich möglich war. Das wird aber vom Bundesarbeitsgericht allein deshalb angenommen, weil die Agentur für Arbeit (§ 35 Abs. 1 SGB III) bzw. Jobcenter (§ 6d SGB II) verpflichtet sind, Arbeit zu vermitteln. Der Auskunftsanspruch besteht also nur ausnahmsweise nicht, wenn aus anderen Gründen Arbeitsmöglichkeiten unwahrscheinlich sind. Das könnte etwa in Krisenzeiten mit hoher Arbeitslosigkeit ausnahmsweise der Fall sein.

Außerdem hatte das Bundesarbeitsgericht bisher vertreten, das Unterlassen einer Arbeitsuchendmeldung indiziere noch kein „böswilliges Unterlassen“ im Sinne des § 11 KSchG. Auch diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht geändert. Meldet sich ein Arbeitnehmer nicht bzw. zu spät arbeitsuchend, dann ist das ein Indiz dafür, dass er anderweitigen Verdienst böswillig unterlassen hat.

Nach alledem können Arbeitgeber von Arbeitnehmern in Phasen eines etwaigen Annahmeverzugs Auskunft verlangen über

  • Den Zeitpunkt der Arbeitsuchendmeldung
  • Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit bzw. des Jobcenters
  • Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung für alle Vorschläge.

 

Merke

Arbeitnehmer müssen den Arbeitgeber auf Nachfrage über Jobangebote der Bundesagentur für Arbeit informieren!

 

3. Verhandlungstaktische Überlegungen

Die Entscheidung hat weit reichende verhandlungstaktische Konsequenzen. Ein Beispiel:

Ein Arbeitnehmer verdient EUR 5.000,00 brutto im Monat. Er wird im Januar gekündigt. Die Kündigungsfrist beträgt einen Monat. Er erhebt Kündigungsschutzlage. Ab März erhält er Arbeitslosengeld. Er gewinnt das Kündigungsschutzverfahren im November desselben Jahres.

Im Kammertermin im November war bisher klar: Gewinnt der Arbeitnehmer, muss der Arbeitgeber neun Monatsgehälter nachzahlen, also EUR 45.000,00. Sind die Prozesschancen von beiden Seiten 50/50, wäre nach wirtschaftlicher Betrachtung eine Teilung des Risikos zweckmäßig, sodass man sich bei einer etwaigen Einigung auf eine Beendigung bei der Hälfte, also EUR 22.500,00, einigen könnte.

Ab sofort ändert sich diese Situation. Arbeitgeber sollten generell Auskunft verlangen. Erteilt der Arbeitnehmer keine Auskunft, dann könnte der Arbeitgeber dies einem Nachzahlungsanspruch des Arbeitnehmers entgegenhalten (§ 273 BGB) (BAG 24.8.1999 – 9 AZR 804/98). Erteilt der Arbeitnehmer Auskunft über Arbeitsangebote, die er jedoch für unzumutbar hält, dann lässt sich ggf. über diese Unzumutbarkeit streiten. Das erhöht verschiebt das Risiko für Arbeitnehmer. Besteht etwa selbst im Obsiegensfall ein Risiko, dass der Arbeitnehmer nur teilweise oder keine Nachzahlungen erhält, dann gibt es keinen Grund mehr, sich bei der Hälfte zu einigen, sondern etwa bei ¼.

Außerdem hat die Auskunftsforderung verhandlungspsychologische Implikationen. Allein der Umstand, dass ein zusätzliches Risiko besteht, setzt den Arbeitnehmer ggf. unter Druck. Der Umstand, dass er sorgfältig Auskunft erteilen muss, nimmt ihm jedenfalls den Komfort einer passiven Prozessbeobachtung.

Im Übrigen kann ein Arbeitnehmer auch durch Zusendung von Stellenanzeigen gezwungen werden (BAG 16.5.2000 – 9 AZR 203/99). Schickt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer zumutbare Stellenanzeigen, muss der Arbeitnehmer sich bewerben. Andernfalls kann etwaigen Annahmeverzugslohnansprüchen der Einwand bösgläubig unterlassenen Zwischenerwerbs entgegengehalten werden.

Besonders nützlich ist diese neue Strategie in kündigungsrechtlich aussichtslosen Fällen. Angenommen, ein Arbeitgeber kündigt das Arbeitsverhältnis eines „Low Performers“. Der Arbeitgeber weiß, dass seine Prozessaussichten gegen Null gehen, aber er erhofft sich eine Abfindungslösung. In diesem Fall hatte der Arbeitgeber bisher praktisch kein Druckmittel. Weiß der Arbeitnehmer, dass er höchstwahrscheinlich gewinnt, konnte er nötigenfalls den Prozess durch zwei Instanzen tragen und dementsprechend in Bezug auf eine Abfindung „hoch pokern“. Ab sofort gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, er sucht sich eine (vorübergehende) Beschäftigung und er bewirbt sich auf zumutbare, vom Arbeitgeber übersandte Stellenausschreibungen oder es gibt zumindest ein gewisses Risiko in Bezug auf etwaige Nachzahlungsansprüche. Damit sind Kündigungsschutzverfahren für Arbeitnehmer vor allem in „sicheren Fällen“ deutlich weniger komfortabel – wenn der Arbeitgeber die neue Rechtsprechung strategisch sinnvoll nutzt.

Merke

Wird die neue Rechtsprechung strategisch sinnvoll genutzt, setzt das Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess enorm unter Druck.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator

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