Seit dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes (MiLoG) im Jahre 2014 ist umstritten, welche Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn anrechenbar sind. Durch mehrere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind diese Fragen zwischenzeitlich zumindest weitgehend geklärt (dazu Weigert, NZA 2017, 745).
1. Grundsätze der Rechtsprechung
Entgegen der nahezu einhelligen Auffassung in der Literatur und Rechtsprechung hat das BAG in seiner Grundsatzentscheidung zunächst klargestellt, dass das MiLoG keine Einschränkung zur Anrechnung von Vergütungsbestandteilen enthält (so bereits Weigert, NZA 2017, 745). Es sind danach grundsätzlich alle Leistungen des Arbeitgebers anzurechnen, die in einem Monat als Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistungen gezahlt werden (BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16). Nur solchen Leistungen fehle die Erfüllungswirkung, die unabhängig von der erbrachten Arbeitsleistung geleistet werden oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen (BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16).
2. Anrechenbare Leistungen
Nach den voranstehenden Grundsätzen sind grundsätzlich etwa anrechenbar:
- Zulagen, z.B. Schichtzulagen (BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16; BAG 22. März 2017 – 5 AZR 323/16)
- Jahressonderzahlungen und Überstundenvergütungen (BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16)
- Prämien, etwa Treueprämien (BAG 21. Dezember 2016 – 5 AZR 374/16; BAG 22. März 2017 – 5 AZR 323/16)
- Sonn– und Feiertagszuschläge (BAG 24. Mai 2017 – 5 AZR 431/16; BAG 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17)
- Leistungszulagen (BAG September 2017 – 5 AZR 317/16)
- Anwesenheitsprämien (sog. „Immerda-Prämien“; BAG Oktober 2017 – 5 AZR 622/16; BAG 8. November 2017– 5 AZR 692/16; BAG 6. Dezember 2017 – 5 AZR 864/16)
- Sauberkeits– und Ordnungsprämien (BAG November 2017– 5 AZR 692/16)
- Besitzstandsprämien, die pauschal als Ausgleich für die Absenkung vertraglich vereinbarter Zuschläge geleistet werden (BAG Dezember 2017– 5 AZR 699/16)
- Über Stück-, Akkord- und Qualitätsprämien wurde bis dato nicht höchstrichterlich entschieden. Unter Anwendung der Maßstäbe des BAG ist insoweit jedoch praktisch sicher davon auszugehen, dass jene Prämien mindestlohnwirksam sind.
3. Nicht anrechenbare Leistungen
Nicht anrechenbar sind hingegen etwa:
- Nachtzuschläge im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG (BAG April 2018 – 5 AZR 25/17)
- (Tarifliches) Urlaubsgeld, das nicht an eine erbrachte Arbeitsleistung anknüpft (BAG 20. September 2017 – 10 AZR 171/16).
- Vermögenswirksame Leistungen (BAG 1 November 2015– 5 AZR 761/13)
- Aufwendungsersatzleistungen
4. Ungeklärte Fragen
In Bezug auf Nachtzuschläge sind zwei Fragen ungeklärt: Zum einen, ob Nachtzuschläge auch in der Höhe, die freiwillig über das von § 6 Abs. 5 ArbZG gebotene Maß hinausgehend geleistet werden, insoweit anrechenbar sind. Richtigerweise ist das nicht der Fall, weil für die Anrechenbarkeit nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Zulagenanspruchs, sondern deren Zweck maßgeblich sind. Der Zweck eines Nachtarbeitszuschlags ist in obligatorischer und überobligatorischer Höhe einheitlich.
Zum anderen ist ungeklärt, ob Nachtzuschläge nur dann nicht anzurechnen sind, wenn und soweit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 5 ArbZG (Nachtarbeitnehmer, Nachtarbeit, keine tariflichen Ausgleichsregelungen) verwirklicht sind. In der Folge wären Nachtarbeitszuschläge etwa anzurechnen, soweit sie bereits für Arbeit vor 23 Uhr oder Arbeitnehmern, die keine Nachtarbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 5 ArbZG sind, gewährt werden. Richtigerweise sind als „Nachtzuschläge“ bezeichnete Leistungen, die über den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG hinausgehen, insoweit auf den Mindestlohn anrechenbar. Dies vor dem Hintergrund, dass die Zahlung nur insofern auf einer gesetzlichen Zweckbestimmung beruht.
Schließlich ist offen, ob sich die Einschränkungen der Anrechenbarkeit auch strafrechtlich auswirken dürfen (§ 22 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG). Richtigerweise ist das nicht der Fall, da es sich um Einschränkungen des Arbeitsentgeltbegriffs handelt und Einschränkungen des Wortlauts im Strafrecht unzulässig sind (dazu Weigert, NZA 2017, 745). Allerdings ist dieses Problem von der Rechtsprechung und vom Zoll bis dato nicht erkannt worden, insofern muss davon ausgegangen werden, dass sich Einschränkungen der Anrechenbarkeit auch strafrechtlich auswirken.
Umstritten ist außerdem, ob und inwieweit Sachbezüge auf den Mindestlohn anrechenbar sind. Richtigerweise ist das zwar grundsätzlich der Fall, da § 107 Abs. 2 GewO Sachbezüge ausdrücklich als Teil des Arbeitsentgelts definiert. Allerdings sind Vergütungsleistungen durch Sachbezüge nur oberhalb der Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen (§ 850c ZPO) zulässig. Insofern bleibt ohnehin im Niedriglohnbereich wenig Raum für die Vergütung mit Sachbezügen.
Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
MBA
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator (IHK)
Negotiator (EBS) · Negotiation Master Class (Harvard)
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