Die Arbeitszeit von angestellten Ärzten

Sowohl rechtlich als auch praktisch ist das Arbeitszeitrecht von Ärzten mit zahlreichen Problemen verbunden. Nachfolgend stelle ich die wesentliche Rechtslage zur Arbeitszeit von Ärzten dar.

 

1. Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft

a) Bereitschaftsdienst

Bereitschaftsdienst sind Zeiten, in denen sich der Arbeitnehmer in einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort innerhalb oder außerhalb des Betriebes bereithält, um von dort aus im Bedarfsfall die Arbeitstätigkeit aufnehmen zu können (Baeck/Lösler, NZA 2005, 247, 249). Abgesehen von der Ortswahl sind Arbeitnehmer während des Bereitschaftsdienstes grundsätzlich in der Gestaltung ihrer Zeit frei. Nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts sind Bereitschaftsdienste sowohl vergütungspflichtige Arbeitszeit als auch Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Dies gilt auch dann, wenn dem Arbeitnehmer gestattet ist, sich in Zeiten des Bereitschaftsdienstes am Arbeitsplatz auszuruhen (Schulte-Sasse/Debong, ArztR 2016, 61,, 62 m.w.N.). Gleichwohl haben sich Krankenhäuser lange geweigert, diese Rechtsprechung anzuerkennen und umzusetzen. Mittlerweile ist es allerdings weitgehend auch die Praxis, dass Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit anerkannt werden. Das ist einer der Gründe für den Ärztemangel in Deutschland, der Bedarf an Ärzten ist deutlich gestiegen.

Allerdings ist zu beachten, dass der Bereitschaftsdienst nicht als volle Arbeit zu vergüten ist. Zwar sind Bereitschaftsdienste bei der Berechnung der Höchstarbeitszeit zu berücksichtigen, es kann aber vereinbart werden, dass sie mit einem geringeren Stundenlohn zu vergüten sind als reguläre Arbeit.

Nach § 10 Abs. 1 S. 2 TV-Ärzte/VKA darf ein Arbeitgeber nur Bereitschaftsdienst anordnen, wenn zu erwarten ist, dass die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Andernfalls muss er Vollarbeit anordnen. Nach § 12 Tarifvertrag der Ärzte/VKA sind Bereitschaftsdienste je nach zu erwartendem Anteil der Arbeitsleistung nur anteilig (60 bis 90 %) im Verhältnis zur Vollarbeit zu vergüten. Darüber hinaus sind Wochenenden Nachtarbeitszuschläge auch für Bereitschaftsdienste geregelt (§ 12 Abs. 4 fünf Tarifvertrag für Ärzte/VKA).

 

b) Rufbereitschaft

Rufbereitschaft ist hingegen weder vergütungspflichtige noch arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit. Der Unterschied zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft ist nicht trennscharf, sondern besteht lediglich darin, dass der Arbeitnehmer bei der Rufbereitschaft den Ort seines Aufenthalts grundsätzlich frei wählen kann. Das setzt voraus, dass  eine Anfahrtszeit von mindestens 30 Minuten zum Krankenhaus gestattet wird (Baeck/Lösler, NZA 2005, 247, 249). Teilweise werfen Krankenhäuser Arbeitnehmern in Rufbereitschaft vor, die Gesundheit der Patienten zu gefährden, wenn sie nicht rechtzeitig im Krankenhaus sein können. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Pflichtverletzung liegt beim Krankenhaus, das es versäumt, im Interesse der Patientenversorgung eine unverzügliche Arbeitsaufnahme des Arztes sicherzustellen. Insbesondere kann deshalb einem Arbeitnehmer in Rufbereitschaft nicht gekündigt werden, weil er nicht rechtzeitig das Krankenhaus erreicht (Schulte-Sasse/Debong, ArztR 2016, 61,, 62 m.w.N.).

Auf Rufbereitschaft erhalten Ärzte nach § 11 Abs. 3 Tarifvertrag der Ärzte/VKA eine Pauschale. Teilweise haben Krankenhäuser versucht, diese Vergütungspflicht zu umgehen, indem sie Ärzte mit Mobilfunktelefonen ausgestattet haben, um ihre Erreichbarkeit zu gewährleisten. Deshalb verlangt § 10 Abs. 8 S. 3 Tarifvertrag der Ärzte/VKA nunmehr, dass erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt.

 

2. Höchstarbeitszeiten nach Gesetz

Grundsätzlich regelt das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten. Danach beträgt die Höchstarbeitszeit pro Werktag grundsätzlich 8 Stunden (§ 3 Abs. 1 ArbZG). Sie kann auf 10 Stunden pro Werktag verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Monaten oder 24 Wochen durchschnittlich 8 Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Häufig missverstanden wird insoweit, dass „Werktag“ nicht gleich „Arbeitstag“ ist. Die Woche hat sechs Werktage, auch wenn eine Fünf-Tage-Woche vereinbart ist. Das heißt, ein Arbeitnehmer, der an vier Tagen 10 Stunden arbeitet und an einem Tag 8 Stunden, hat in dieser Woche 48 Stunden gearbeitet. Das entspräche über sechs Werktage einem Schnitt von 8 Stunden.

Merke

Grundsätzlich beträgt die durchschnittliche Höchstarbeitszeit 48 Stunden pro Woche!

Allerdings sind Chefärzte nach § 18 ArbZG von dessen Anwendungsbereich ausgenommen. Für Chefärzte gelten also keine gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen.

 

3. Höchstarbeitszeiten nach Tarifvertrag

Nach § 7 Abs. 2 ArbZG ist es zulässig, dass in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Dienstvereinbarung die tägliche Arbeitszeit auch ohne einen Ausgleich über 8 Stunden hinaus verlängert werden kann, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in üblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst  fällt und sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet ist. Erheblich ist der Anteil des Bereitschaftsdienstes, im Bereich von 25-30 %. Schließlich muss der Arbeitnehmer schriftlich in diese Arbeitszeitausweitung einwilligen (§ 7 Abs. 2 ArbZG). Seine Einwilligung kann mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich widerrufen werden (§ 7 Abs. 7 S. 2 ArbZG). Hierdurch dürfen nach   § 7 Abs. 7 S. 3 ArbZG keine Nachteile entstehen.

Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien umfassend Gebrauch gemacht. So kann nach § 10 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA die Arbeitszeit auf bis zu 24 Stunden verlängert werden. Das setzt voraus, dass in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst der Stufen eins und zwei, also mit einer Arbeitsleistung bis 25 % bzw. bis 40 % fällt. Ferner darf die wöchentliche Arbeitszeit einschließlich des Bereitschaftsdienstes höchstens 58 Stunden betragen.

Merke

Im Tarifvertrag wird von den Höchstarbeitszeiten abgewichen!

 

4. Höchstarbeitszeit: Opt-Out-Recht und Benachteiligungsverbot

Die Abweichung von den gesetzlichen Höchstarbeitszeiten setzt voraus, dass der Arbeitnehmer schriftlich sein Einverständnis erklärt hat (§ 7 Abs. 7 S. 1 ArbZG). In der Regel wird die Einwilligung bereits im Arbeitsvertrag des Arztes erklärt.

Gleichwohl kann der Arzt die erteilte Einwilligung mit einer Frist von sechs Monaten widerrufen (§ 7 Abs. 7 S. 2 ArbZG). Erklärt der Arbeitnehmer seinen Widerruf, gilt also nach sechs Monaten die reguläre gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden inklusive Bereitschaftsdienst.

Insbesondere Ärzte in Facharztweiterbildung sind oft auf das Wohlwollen des Arbeitgebers angewiesen. Deshalb regelt § 7 Abs. 7 S. 3 ArbZG, dass Ärzte nicht wegen der Ausübung des Widerrufs benachteiligen dürfen.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang in der Regel der Nachweis der Kausalität, also die Frage, ob eine Benachteiligung auf dem Widerruf beruht.

Merke

Ärzte haben das Recht zum „Opt-Out“ mit einer 6-Monats-Widerrufsfrist!

 

5. Nachtarbeit

Auch in Bezug auf Nachtarbeit gelten Sonderregelungen für Ärzte. Nachtarbeit ist für Ärzte gemäß § 9 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA in Abweichung von § 2 Abs. 3 ArbZG bereits die Zeit von 21:00 Uhr bis 6:00 Uhr. Arbeitnehmer haben einen tariflichen Anspruch darauf, auf einen Tagesarbeitsplatz umgesetzt zu werden, wenn die Nachtarbeit für sie gesundheitsgefährdend ist, wenn sie ein Kind unter zwölf Jahren zu betreuen haben, das nicht von einer anderen im Haushalt lebenden Person betreut werden kann oder wenn sie einen Angehörigen der Pflegestufe 1 zu versorgen haben (§ 6 Abs. 4 ArbZG). Der Arbeitgeber darf diese Versetzung nur aus dringenden betrieblichen Interessen ablehnen. In Krankenhäusern mit einer Vielzahl von Ärzten ist das praktisch schwer vorstellbar. Für Nachtarbeit werden nach § 11 Abs. 1 S. 2b Tarifvertrag der Ärzte/VKA Zeitzuschläge wohl von 15 % je Stunde Nachtarbeit gezahlt.

 

6. Überstundenausgleich

Häufig kommt es auch zu rechtswidrigen Praktiken von Kliniken in Bezug auf den Ausgleich geleisteter Überstunden. Die Rechtslage ist folgende:

Grundsätzlich sind geleistete Überstunden zu vergüten. Dies gilt auch bei Teilzeitkräften. Nach § 11 Abs. 1 S. 2 TV-Ärzte/VKD ist ferner ein Überstundenzuschlag von 15 % zu gewähren.

Überstundenabgeltungsklauseln in Arbeitsverträgen sind oftmals unwirksam. Sie sind nur wirksam, wenn die Jahresvergütung des Arbeitnehmers oberhalb der jeweils aktuellen Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung liegt (2020 Westdeutschland: EUR 82.800,00).

Merke

Überstundenabgeltungsklauseln sind oft unwirksam!

Ein Freizeitausgleich im Sinne eines Arbeitszeitkontos ist gesetzlich die Ausnahme. Ein solcher bedarf einer Rechtsgrundlage. Eine solche Rechtsgrundlage kann die Vereinbarung mit einem Arbeitnehmer sein, ein Tarifvertrag oder – in der Praxis am häufigsten – eine Betriebsvereinbarung über Arbeitszeitkonten.

Werden Überstunden im Krankenhaus nicht im Zeiterfassungssystem erfasst, ändert das grundsätzlich nichts. Auch geleistete, aber nicht erfasste Überstunden sind nachzuweisen. Die fehlende Erfassung erschwert lediglich den Nachweis. Erfasst ein Arbeitnehmer privat seine Arbeitszeiten im Krankenhaus, genügt das grundsätzlich. Allerdings enthalten Arbeitsverträge oft, ebenso wie § 37 Abs. 1 TV-Ärzte/VKD, Ausschlussklauseln. Danach verfallen Ansprüche, die nicht binnen drei bzw. sechs Monaten geltend gemacht werden. Wird ein Arbeitszeitkonto praktiziert, dann sind bei Beendigung allerdings sämtliche angesammelten Überstunden abzugelten.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
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