Der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern bemisst sich nach der Anzahl der Wochenarbeitstage. Etwa bei einer 5-Tage-Woche haben Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf 20 Tage Urlaub, in einer 3-Tage-Woche auf 12 Tage. Verändern sich im Laufe eines Kalenderjahres die Arbeitstage, stellt sich die Frage, wie der Jahresurlaub zu berechnen ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat seine Rechtsprechung dazu jüngst geändert. Details dazu lesen Sie in meinem Aufsatz in der NZA 2016, 862, 865.
1. Bisherige Rechtsprechung: „Resturlaubsmethode“
Zur Berechnung des Urlaubsanspruchs bei Wechsel von Teilzeit in Vollzeit bzw. umgekehrt hat das BAG bisher die „Resturlaubsmethode“ angewendet (BAG 10.02.2015 – 9 AZR 53/14). Danach war jeweils in dem Zeitpunkt, in dem sich die Arbeitstageanzahl ändert, der zu diesem Zeitpunkt verbliebene Resturlaub im entsprechenden Verhältnis zu verringern oder zu erhöhen.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist im Rahmen einer 5-Tage-Woche tätig. Er hat Anspruch auf 30 Urlaubstage pro Jahr. Im ersten Halbjahr verbraucht er 20 Urlaubstage. Er hat also Ende Juni noch zehn Resturlaubstage. Am 1. Juli wechselt er in eine 3-Tage-Woche. Dann waren am 1. Juli die verbliebenen zehn Resturlaubstage im Verhältnis 3/5 zu kürzen. Er hätte also noch sechs Resturlaubstage.
Hätte er im ersten Halbjahr keinen Urlaub verbraucht, verblieben ihm im 2. Halbjahr 18 Urlaubstage (30 / 5 * 3).
Im Ergebnis hatte der Arbeitnehmer somit in jeder Konstellation dieselbe Anzahl freier Wochen im Gesamtjahr, allerdings je nach den Zeitpunkten seiner Urlaube unterschiedlich viele Urlaubstage.
2. Neue Rechtsprechung: Berechnung nach Zeitabschnitten
Der europäische Gerichtshof (EuGH) vertritt seit geraumer Zeit, dass Urlaubstage nicht nur einen Erholungszweck verfolgen, sondern einen Geldwert haben (EuGH 22.04.2010 – C-486/08 (Tirol); EuGH 08.11.2012 – C-229/11, C-230/11 (Toltschin); EuGH 13.06.2013 – C-415/12 (Brandes); EuGH 11.11.2015 – C-219/14 (Greenfield)). Mein Kollege Dr. Patrick Zeising und ich hatten bereits 2016 prognostiziert, dass das BAG seine Rechtsprechung aus diesem Grund wird ändern müssen (Weigert/Zeising, Die Berechnung von Urlaubsansprüchen bei Veränderungen der Arbeitszeit, NZA 2016, 862, 868). Denn nach der Rechtsprechung des BAG haben Arbeitnehmer zwar im Ergebnis gleich viele freie Wochen frei. Sie bekamen aber unterschiedlich viel Urlaubsentgelt ausgezahlt, obwohl sie im Gesamtjahr gleich viel gearbeitet haben.
Das BAG hat seine Rechtsprechung jüngst erwartungsgemäß geändert (BAG 19.03.2019 – 9 AZR 406/17). Nunmehr ist der Urlaubsanspruch nach Zeitabschnitten („pro rata temporis“) zu berechnen.
Im Beispiel: Ein Arbeitnehmer arbeitet im 1. Halbjahr im Rahmen einer 5-Tage-Woche wechselt am 1. Juli in eine 3-Tage-Woche. Er hat dann für das erste Halbjahr einen Urlaubsanspruch von 15 Tagen (30 Tage für eine 5-Tage-Woche, entsprechend für 6/12 Monaten). Für das 2. Halbjahr hat er einen Urlaubsanspruch von neun Tagen (18 Tage für eine 3-Tage-Woche, entsprechend für 6/12 Monate). Sein Gesamturlaubsanspruch in diesem Kalenderjahr umfasst also 24 Tage (15 + 9). Das gilt unabhängig davon, wie viel Urlaub er im 1. Halbjahr bereits verbraucht hat.
3. Konsequenzen
Die Rechtsprechungsänderung hat weitere Konsequenzen bzw. wirft Folgefragen auf.
a) Rückzahlung übergewährten Urlaubs?
Aufgrund der neuen Rechtsprechung kann es dazu kommen, dass ein Arbeitnehmer zu viel Urlaub gewährt bekommen hat. Hat der Arbeitnehmer im Beispiel etwa bereits im ersten Halbjahr 26 Tage Urlaub verbraucht, dann hatte er im Gesamtjahr zwei Tage mehr Urlaub als ihm zustand. Richtigerweise hat er in diesem Fall das Urlaubsentgelt für zwei Tage herauszugeben (§ 812 BGB) (vgl. Weigert/Zeising, NZA 2016, 862, 865). Diese Frage wird jedoch die Rechtsprechung zu klären haben.
b) Abgeltung reduzierten Urlaubs
Es wird vertreten, bei einer Reduzierung des Urlaubsanspruchs seien die verlorenen Urlaubstage auszuzahlen (Schubert, NZA 2013, 1105.). Im Beispiel: Werden die Urlaubstage des Arbeitnehmers durch seinen Wechsel von einer 5-Tage-Woche in eine 3-Tage-Woche am 1. Juli von 30 auf 24 Tage reduziert, dann seien die sechs untergegangenen Urlaubstage in Geld auszuzahlen.
Diese Auffassung ist zwar unzutreffend, weil sie zu sachwidrigen Ungleichbehandlungen führt: So hätte ein Arbeitnehmer, der von einer 5-Tage-Woche in eine 3-Tage-Woche wechselt, Anspruch auf 24 Urlaubstage zuzüglich 6 Tagen Abgeltung. Ein Arbeitnehmer, der umgekehrt von einer 3-Tage-Woche in eine 5-Tage-Woche wechselt, hätte nur 24 Urlaubstage. Dies, obwohl beide im Gesamtjahr gleich viel arbeiten. Das wäre nicht sachgerecht (Weigert/Zeising, NZA 2016, 862, 866). Gleichwohl ist auch insoweit noch eine klarstellende Rechtsprechung abzuwarten.
c) Hohe Urlaubsansprüche nach Übertragungen
Schließlich kann es zu widersinnig hohen Urlaubsansprüchen kommen. Ist etwa ein in Vollzeit tätiger Arbeitnehmer für zwei Jahre in Elternzeit oder krank, erwirbt er in diesen zwei Jahren Urlaubsansprüche im Umfang von 60 Tagen. Nach dem Ende der Elternzeit oder Krankheit wechselt der Arbeitnehmer ab 1. Januar in eine 2-Tage-Woche. Insbesondere nach solchen Zeiträumen ist eine solche Arbeitszeitreduzierung praktisch durchaus nicht unüblich. Nach der alten Rechtsprechung wäre sein Resturlaub auf 2/5 gekürzt, er hätte also statt 60 Urlaubstage noch 24 zzgl. zwölf Tage für das dritte Jahr. Der Arbeitnehmer hätte also 36 Urlaubstage auf dem Konto. Er könnte also bei einer 2-Tage-Woche für 18 Wochen Urlaub nehmen. Nach der neuen Zeitabschnittsmethode verbliebe es bei 60 übertragenen Urlaubstagen, zuzüglich 24 neuer Urlaubstage. Der Arbeitnehmer hätte also 84 Urlaubstage und könnte damit für 42 Wochen Urlaub nehmen.
Im Extremfall könnten Arbeitnehmer Arbeitgeber praktisch zu unerwünschten „Sabbaticals“ zwingen. Beispiel: Im vorgenannten Beispiel reduziert der Arbeitnehmer die Arbeitszeit auf eine 1-Tage-Woche. Er hätte dann 72 Urlaubstage (60 + 12) und könnte damit 72 Wochen Urlaub machen, zuzüglich weiterer zwölf, die in jenem Jahr erworben werden und weiterer 12, die am 1. Januar des Folgejahres erworben werden. Insgesamt führt das zu 96 Wochen Urlaub am Stück. Reduziert er seine Arbeitszeit nach der neuen Brückenteilzeit (§ 9a TzBfG) befristet für 1,5 Jahre, dann hat er auf diesem Wege praktisch eine Art Sabbatical konstruiert.
4. Zusammenfassung und Empfehlung
Arbeitgeber müssen – einmal mehr – aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung zum Urlaubsrecht ihre Abläufe anpassen. Ändert sich im Laufe eines Kalenderjahres die Anzahl der Wochenarbeitstage eines Arbeitnehmers, ist der Jahresurlaubsanspruch nach Zeitabschnitten zu berechnen und nicht mehr nach dem jeweiligen Resturlaub.
Ob Arbeitnehmer einen Abgeltungsanspruch haben, wenn sie dadurch Urlaubstage verlieren bzw. ob Arbeitgeber Urlaubsentgelt zurückfordern können, wenn es dadurch zu einer Zu-Viel-Gewährung von Urlaub gekommen ist, bleibt abzuwarten. Richtigerweise haben Arbeitnehmer keinen Abgeltungsanspruch, aber Arbeitgeber einen Anspruch auf Rückzahlung zu viel geleisteten Urlaubsentgelts.
Widersinnige Folgen hat die Rechtsprechungsänderung, wenn Arbeitnehmer nach einem längeren Übertragungszeitraum (Elternzeit, Krankheit) zurückkehren und dann ihre Arbeitszeit reduzieren. In diesem Fall haben sie ausufernde Urlaubsansprüche.
Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
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