Krankmeldung per Whatsapp – Was bedeutet die neue „Online-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ arbeitsrechtlich?

Aufgrund von Änderungen mehrerer Landesberufsordnungen für Ärzte werden neuerdings Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen („AUB“) teilweise ohne persönlichen Patientenkontakt ausgestellt. Einige Dienstleister versuchen gar, sich auf die Ausstellung von „Online-AUB’en“ zu spezialisieren. Nachfolgend wird dargestellt, inwieweit Arbeitnehmer sich auf Online-AUB‘en verlassen können bzw. umgekehrt, inwieweit Arbeitgeber sich an Online-AUB’en halten müssen.

 

1. Arztrechtliche Zulässigkeit

Rechtlich sind Online-AUB’en richtigerweise arztrechtlich unzulässig und entfalten keine Rechtswirkung. Zwar erlauben Landesberufsordnungen für Ärzte teilweise die „Beratung“ oder „Behandlung“ ohne Direktkontakt. Die Krankschreibung stellt jedoch weder eine „Beratung“ noch eine „Behandlung“ des Patienten dar, sondern eine „Untersuchung“ und „Diagnose“. Als solche erfordert die Ausstellung einer AUB nach § 1 Abs. 1 der für Ärzte bindenden sogenannten „Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie“ eine „besondere“ Sorgfalt von Ärzten. „Besonders“ sorgfältig ist im Verhältnis zur Fernberatung nur die Diagnose im persönlichen Direktkontakt. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung dies richtig bewerten wird. Bis dahin bleibt zumindest möglich, dass Online-AUB’en wirksam sind.

Merke

Es ist jedenfalls gut vertretbar, Online-AUB’en generell nicht zu akzeptieren.

 

2. Vorlagepflicht nach § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG

Nähme man an, Online-AUB’en seien grundsätzlich zulässig, stellt sich die Frage, ob Arbeitnehmer ihre Pflicht zur Vorlage einer AUB (§ 5 Abs. 1 S. 2 EFZG) durch die Vorlage einer „Online-AUB“ erfüllen.

Das wäre ggf. der Fall. Bei der Vorlagepflicht nach § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG handelt es sich um einen rein formalen Akt. Was eine AUB im Sinne des § 5 EFZG ist, definiert das Gesetz nicht. Insofern ist § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG dahin gehend zu verstehen, dass jede AUB, die arztrechtlich zulässig ist, auch die Vorlagepflicht erfüllt.

Ob Arbeitgeber Online-AUB’en untersagen dürften, ist bis dato ungeklärt. Vor dem Hintergrund des Rechts auf freie Arztwahl (§ 76 SGB V) dürfte die Rechtsprechung das jedoch nicht für zulässig erachten.

 

3. Beweiswert einer Online-AUB

Davon unabhängig ist die Frage zu beantworten, welcher Beweiswert einer Online-AUB zukommt. Der rein formale Akt der Vorlage einer Online-AUB hat für Arbeitgeber in der Regel praktisch keine große Bedeutung. Die gewichtigere Sorge von Arbeitgebern ist vielmehr, dass Online-AUB‘en die Hemmschwelle senken, eine Arbeitsunfähigkeit vorzutäuschen. So dürfte sich ein potentieller „Blaumacher“ eher bzw. länger krankmelden, wenn er nicht mehr die psychologische Hemmschwelle hat, seinem Arzt in die Augen sehen zu müssen. Es stellt sich also die Frage, ob ein Arbeitgeber der Online-AUB auch inhaltlich Glauben schenken muss, wenn er Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat.

Diese Frage ist nicht gleichlaufend mit der Vorlagepflicht nach § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG zu beantworten (a.A. Heider, NZA 2019, 288). Die Pflicht zur Vorlage einer AUB ist ein rein formaler Akt. Es ist durchaus denkbar, dass eine AUB zwar im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG formal ordnungsgemäß ist, aber gleichwohl keinen hohen Beweiswert hat. Legt ein Arbeitnehmer etwa eine AUB von einem Arzt vor, der als „Krankschreibearzt“ bekannt ist, genügt er damit zwar seiner formalen Vorlagepflicht, gleichwohl hat die AUB keinen hohen Beweiswert (Schmitt-EFZG § 5 Rn. 122). Dementsprechend kann die Online-AUB zwar zur Erfüllung der Vorlagepflicht genügen, aber nicht zum materiellen Beweis der Arbeitsunfähigkeit. Wenn man jedoch zu Unrecht davon ausgeht, dass Online-AUB’en arztrechtlich zulässig sind, dann trifft das Gesetz die Wertung, eine Ferndiagnose sei möglich. Diese Wertung wäre konsequent auch arbeitsrechtlich anzuerkennen. Arbeitsgerichte müssten dann grundsätzlich davon ausgehen, dass auch Ferndiagnosen zutreffen.

Anders dürfte das zu bewerten sein, wenn sich ein Patient nicht von seinem Hausarzt, sondern von einem kommerziellen Anbieter krankschreiben lässt. Die Möglichkeit von Online-Beratungen bzw. -Behandlungen geht davon aus, dass „normale“ Ärzte Patienten auch online beraten dürfen. Sie hatte nicht kommerzielle Anbieter im Blick, die sich auf Online-AUB’en spezialisieren. Solchen Anbietern, die letztlich ausschließlich durch Krankschreibungen Geld verdienen, wird man nicht die gleiche Seriosität beimessen können wir etwa einem Hausarzt, der mit seinem Patienten online in Kontakt tritt. Richtigerweise hat damit die Online-AUB eines kommerziellen Anbieters keinen hohen Beweiswert. Auch insoweit bleibt jedoch klarstellende Rechtsprechung abzuwarten.

Merke

Es ist jedenfalls gut vertretbar, dass eine Online-AUB nicht den Beweiswert einer „richtigen“ AUB hat. Arbeitgeber müssen Online-AUB’en also nicht grundsätzlich glauben. Wie die Rechtsprechung das beurteilt, bleibt abzuwarten.

 

4. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK)

Jedenfalls können Arbeitgeber bei jeder Online-AUB, die von einem kommerziellen Anbieter ausgestellt worden ist, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) einschalten. Das ist nach § 275 Abs. 1a Nr. 2 SGB V insbesondere zulässig, wenn die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist. Das ist erst Recht der Fall, wenn sich ein Arzt ausschließlich auf Online-AUB spezialisiert hat.

 

5. Praxistipps

Für Arbeitgeber stellt die neue Online-AUB eher eine Chance als ein Risiko dar. Bei Arbeitnehmern, denen man vertraut, spricht nichts dagegen, das Einreichen von Online-AUB’en zu dulden. Arbeitnehmer, denen man misstraut, kann – etwa wie das Verlangen einer AUB am 1. Tag – verdeutlicht werden, dass man eine Online-AUB nicht akzeptiert. Jedenfalls dann können im Zweifel Folgemaßnahmen (MDK, Abmahnung, Kündigung) zumindest mit einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit auf das Argument gestützt werden, dass „Online-AUB’en“ unzulässig sind oder zumindest keinen ausreichenden Beweiswert haben. Ferner bleibt insoweit die Entwicklung der Rechtsprechung zu beobachten, die derlei Fragen voraussichtlich in den kommenden ein bis zwei Jahren klären wird.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
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