Haben Sie als Reeder oder Kapitän Fragen zur Anwendung des Seearbeitsrechts? Möchten Sie sicherstellen, dass Ihre Arbeitsverträge und -bedingungen den rechtlichen Vorgaben entsprechen und alle Besonderheiten des Seearbeitsrechts berücksichtigt werden? Oder sind Sie als Seemann unsicher, welche Rechte Ihnen zustehen und wie Sie diese geltend machen können?
Das Seearbeitsrecht, als Spezialbereich des Arbeitsrechts, regelt die Arbeitsbedingungen für Kapitäne, Offiziere und Seeleute an Bord von Seeschiffen. Diese Rechtsvorschriften tragen den besonderen Bedingungen und Herausforderungen Rechnung, die das Arbeiten auf See mit sich bringt. Aufgrund der internationalen Dimensionen des Seeverkehrs und der spezifischen Anforderungen des Lebens und Arbeitens auf Schiffen, unterscheiden sich die Regelungen des Seearbeitsrechts in wesentlichen Punkten vom allgemeinen Arbeitsrecht.
Dieser Artikel behandelt die rechtlichen Grundlagen des Seearbeitsrechts (dazu unter 1.), die spezifischen Regelungen für Arbeitsverträge und Arbeitsbedingungen auf See (dazu unter 2.) sowie die wichtigsten Besonderheiten bei der Anwendung des Seearbeitsrechts (dazu unter 3.).
Abschließend werden häufige Fragen beantwortet (dazu unter 4.), um Ihnen einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Anforderungen und Herausforderungen im Seearbeitsrecht zu geben, sowie relevante Rechtsprechung dargestellt (dazu unter 5.).
1. Rechtliche Grundlagen des Seearbeitsrechts
Das Seearbeitsrecht hat naturgemäß einige Besonderheiten im Gegensatz zum „normalen“ Arbeitsrecht. Diese sind insbesondere im Seearbeitsgesetz (SeeArbG) geregelt und gelten für das Schiffspersonal von Seeschiffen. Zwar gelten auch die allgemeinen Regelungen für Besatzungsmitglieder. Gerade die Zeit an Bord jedoch erfordert beispielsweise in Bezug auf die Arbeitszeiten andere Regelungen, da ansonsten die Arbeit an Bord praktisch kaum umzusetzen wäre.
Das Seearbeitsrecht ist ein komplexes Geflecht aus nationalen und internationalen Vorschriften, die darauf abzielen, die Arbeitsbedingungen auf Seeschiffen zu regulieren und die Rechte der Seeleute zu schützen. Diese Grundlagen sind entscheidend für die rechtssichere Gestaltung von Arbeitsverhältnissen an Bord.
a) Seearbeitsgesetz (SeeArbG)
Das deutsche SeeArbG bildet die zentrale rechtliche Grundlage für die Regelung der Arbeitsverhältnisse auf Seeschiffen unter deutscher Flagge. Es enthält Vorschriften zur
- Arbeitszeit,
- Ruhezeiten,
- Urlaub,
- Gesundheitsvorsorge und
- zur sozialen Absicherung der Seeleute.
Das SeeArbG setzt wesentliche Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) um, insbesondere die Anforderungen aus der Seearbeitsübereinkunft (Maritime Labour Convention, MLC 2006).
Das Gesetz regelt die besonderen Bedingungen des Arbeitens auf See und sieht spezielle Schutzvorschriften vor, die über das allgemeine Arbeitsrecht hinausgehen. Diese Vorschriften sind darauf ausgelegt, die Gesundheit und Sicherheit der Seeleute zu gewährleisten und ein Mindestmaß an Lebensqualität an Bord sicherzustellen.
b) Internationale Seearbeitsübereinkunft (MLC 2006)
Die Maritime Labour Convention (MLC 2006) ist ein internationaler Standard, der von der ILO entwickelt wurde und weltweit die Mindestanforderungen für die Arbeits- und Lebensbedingungen von Seeleuten festlegt. Die MLC 2006 wurde in Deutschland durch das SeeArbG in nationales Recht umgesetzt und gilt für alle Schiffe unter deutscher Flagge sowie für deutsche Seeleute auf Schiffen unter fremder Flagge.
Die MLC 2006 regelt unter anderem die Mindeststandards für
- Arbeitsverträge,
- Löhne,
- Arbeitszeit,
- Unterbringung,
- Verpflegung,
- Gesundheitsschutz und
- soziale Sicherheit der Seeleute.
Sie stellt sicher, dass Seeleute weltweit unter fairen und menschenwürdigen Bedingungen arbeiten und leben können, unabhängig von der Flagge des Schiffes, auf dem sie tätig sind.
In meinem Artikel zum Thema Seearbeitsrecht für Kapitäne und Seeleute gehe ich auf die einzelnen arbeitsrechtlichen Aspekte näher ein.
2. Arbeitsverträge und Arbeitsbedingungen auf See
Die Gestaltung von Arbeitsverträgen und die Festlegung von Arbeitsbedingungen für Kapitäne und Seeleute erfordern besondere Sorgfalt, da sie den spezifischen Anforderungen des Seeverkehrs und den damit verbundenen Risiken und Herausforderungen gerecht werden müssen. Diese Regelungen sind nicht nur durch nationale Gesetze, sondern auch durch internationale Übereinkommen wie das MLC von 2006 umfassend geregelt, um den Schutz der Seeleute zu gewährleisten.
a) Arbeitsverträge für Seeleute
Arbeitsverträge für Seeleute sind in ihrer Ausgestaltung durch das Seearbeitsrecht und internationale Standards streng reglementiert. Ein Seearbeitsvertrag muss zwingend schriftlich abgeschlossen werden, um die Rechtssicherheit für beide Parteien zu gewährleisten. Der Vertrag hat sämtliche wesentlichen Vertragsbedingungen zu enthalten, darunter
- die genaue Höhe der Vergütung (Heuer),
- die Dauer der Beschäftigung,
- den Einsatzort sowie
- spezifische Regelungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie beispielsweise Kündigungsfristen oder Bedingungen für die Rückkehr in das Heimatland (Repatriierung).
Wesentlich ist, dass der Arbeitsvertrag im Einklang mit den Vorgaben des MLC 2006 und dem SeeArbG steht. Diese Regelwerke legen Mindeststandards fest, die insbesondere die Arbeitszeit, Ruhezeiten und Urlaubsansprüche der Seeleute betreffen. Abweichungen von diesen Normen sind nur in Ausnahmefällen zulässig und bedürfen einer sorgfältigen Abwägung im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Besatzungsmitglieder.
b) Arbeitszeit und Ruhezeiten
Die Arbeitszeitregelungen und Ruhezeiten für Seeleute bilden einen zentralen Bestandteil des Seearbeitsrechts und dienen dem Schutz der physischen und psychischen Gesundheit der Besatzungsmitglieder. Die Arbeitsbedingungen auf See sind durch lange und oft unregelmäßige Arbeitszeiten geprägt, weshalb spezifische Vorschriften existieren, um ausreichende Ruhezeiten sicherzustellen und die Sicherheit an Bord zu gewährleisten.
Gemäß § 48 SeeArbG darf die tägliche Arbeitszeit
- 14 Stunden innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraums und
- 72 Stunden innerhalb eines Siebentages-Zeitraums nicht überschreiten.
Darüber hinaus ist eine Mindestruhezeit von
- 10 Stunden innerhalb von 24 Stunden und
- 77 Stunden innerhalb von sieben Tagen zwingend einzuhalten.
Diese Ruhezeiten müssen ununterbrochen sein, wobei sie in zwei Perioden aufgeteilt werden dürfen, sofern eine der Perioden mindestens sechs Stunden beträgt.
Verstöße gegen diese Arbeitszeitregelungen können gravierende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, die sowohl den Reeder als auch den Kapitän betreffen. Dazu zählen Bußgelder, Schadensersatzansprüche oder im schlimmsten Fall strafrechtliche Sanktionen, insbesondere wenn eine Überschreitung der Arbeitszeiten zur Gefährdung der Schiffssicherheit führt.
c) Unterbringung und Verpflegung
Die Unterbringung und Verpflegung der Seeleute an Bord eines Schiffes unterliegt ebenfalls strengen gesetzlichen Anforderungen. Diese Regelungen sind darauf ausgelegt, sicherzustellen, dass die Lebensbedingungen auf See sicher, gesund und menschenwürdig sind und die Gesundheit der Besatzung nicht gefährdet wird (§ 93 SeeArbG).
Das SeeArbG schreibt vor, dass die Kabinen und Gemeinschaftsräume an Bord den hygienischen Standards entsprechen müssen. Sie sind so auszustatten, dass sie ausreichend belüftet, beheizt und beleuchtet sind. Die räumlichen Verhältnisse müssen eine gewisse Privatsphäre gewährleisten und den internationalen Normen, insbesondere den Vorgaben der MLC 2006, entsprechen.
Auch die Verpflegung an Bord muss den Ernährungsbedürfnissen der Besatzungsmitglieder gerecht werden. Die Nahrungsmittel müssen in ausreichender Menge, guter Qualität und Vielfalt zur Verfügung stehen, um eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten (§ 97 SeeArbG). Dabei sind auch kulturelle Eigenheiten oder religiöse Gebräuche zu berücksichtigen. Regelmäßige Inspektionen und Kontrollen durch die zuständigen Behörden sollen sicherstellen, dass diese Standards eingehalten werden.
3. Besonderheiten des Seearbeitsrechts
Das Seearbeitsrecht weist eine Reihe von Besonderheiten auf, die es von anderen arbeitsrechtlichen Regelungen unterscheiden. Diese Besonderheiten tragen den speziellen Herausforderungen Rechnung, die das Leben und Arbeiten auf See mit sich bringt.
a) Heuer und soziale Absicherung
Die Vergütung von Seeleuten, die als “Heuer” bezeichnet wird, unterliegt spezifischen Regelungen (§§ 37 ff. SeeArbG). Die Heuer muss mindestens den im Seearbeitsrecht und den internationalen Übereinkommen festgelegten Standards entsprechen. Seeleute haben das Recht auf eine transparente und nachvollziehbare Abrechnung ihrer Vergütung. Abzüge von der Heuer dürfen nur in gesetzlich zulässigem Umfang und unter Berücksichtigung der vertraglichen Vereinbarungen erfolgen.
Darüber hinaus stellt das SeeArbG sicher, dass Seeleute eine besondere soziale Absicherung genießen. Diese umfasst unter anderem den Anspruch auf Krankengeld, auch wenn der Krankheitsfall an Bord des Schiffes eintritt. Seeleute sind zudem gegen Unfälle an Bord abgesichert und haben Anspruch auf Leistungen, die über die normalen arbeitsrechtlichen Standards hinausgehen, einschließlich einer Absicherung für den Ruhestand.
b) Rückkehrrecht
Das Recht auf “Heimschaffung” ist ein wesentliches Schutzrecht für Seeleute (§ 73 SeeArbG). Es garantiert die Rückführung der Seeleute in ihr Heimatland nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder im Falle von Krankheit, Unfall oder anderen dringenden Gründen. Der Reeder ist nach den Vorschriften des MLC 2006 und des SeeArbG verpflichtet, die Kosten für die “Heimschaffung” zu übernehmen und sicherzustellen, dass die Rückkehr zeitnah und sicher erfolgt.
Das Rückkehrrecht stellt sicher, dass Seeleute nicht im Ausland gestrandet sind, insbesondere in Fällen, in denen das Schiff verkauft oder die Reederei insolvent wird. Dieses Recht kann auch nicht durch vertragliche Vereinbarungen aufgehoben oder eingeschränkt werden.
Den Bestimmungsort der “Heimschaffung” bestimmt die Besatzungskraft (§ 75 SeeArbG).
c) Besondere Regelungen bei Schiffsunfällen
Das Seearbeitsrecht enthält zudem spezifische Regelungen für den Fall von Schiffsunfällen. Seeleute haben in solchen Fällen besondere Rechte, die über den allgemeinen Arbeitnehmerschutz hinausgehen. Dazu gehört der Anspruch auf
- umfassende ärztliche Versorgung,
- die Entschädigung für materielle und immaterielle Verluste sowie
- die Unterstützung bei der Rückkehr in ihr Heimatland.
Der Reeder und der Kapitän sind in Notfällen verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit und das Wohl der Besatzung zu gewährleisten. Diese Pflichten sind nicht delegierbar und stellen einen zentralen Bestandteil des internationalen Seearbeitsrechts dar.
4. Häufige Fragen zum Seearbeitsrecht
a) Welche Rechte habe ich als Seemann im Falle einer Arbeitsunfähigkeit an Bord?
Seeleute haben im Falle einer Arbeitsunfähigkeit, die während ihres Einsatzes an Bord eintritt, Anspruch auf Krankengeld und ärztliche Versorgung, unabhängig davon, ob sie sich an Bord oder an Land befinden. Diese Rechte sind im SeeArbG festgelegt und sollen sicherstellen, dass Seeleute im Krankheitsfall nicht benachteiligt werden.
b) Wie wird die Arbeitszeit auf See geregelt und kontrolliert?
Die Arbeitszeit auf See ist durch das SeeArbG klar geregelt. Seeleute dürfen nicht mehr als 14 Stunden innerhalb von 24 Stunden und nicht mehr als 72 Stunden innerhalb von sieben Tagen arbeiten. Diese Arbeitszeiten werden durch das Führen von Arbeitszeitnachweisen kontrolliert, die regelmäßig überprüft werden müssen.
c) Welche Ansprüche habe ich bei Beendigung meines Arbeitsverhältnisses?
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben Seeleute Anspruch auf ihre volle Heuer sowie auf Repatriierung in ihr Heimatland. Darüber hinaus haben sie Anspruch auf eine schriftliche Bestätigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und eine ordnungsgemäße Abrechnung aller ausstehenden Vergütungen.
d) Welche sozialen Absicherungen bietet das Seearbeitsrecht?
Das Seearbeitsrecht bietet umfassende soziale Absicherungen, einschließlich Krankengeld im Krankheitsfall, Entschädigung bei Unfällen an Bord und eine Absicherung im Ruhestand. Diese sozialen Schutzmechanismen sind darauf ausgelegt, die besonderen Risiken und Herausforderungen des Seeverkehrs abzufedern.
e) Was passiert, wenn der Reeder insolvent wird, während ich an Bord bin?
Im Falle einer Insolvenz des Reeders haben Seeleute spezielle Rechte, um sicherzustellen, dass sie nicht im Stich gelassen werden. Dazu gehört das Recht auf Repatriierung in ihr Heimatland auf Kosten des Reeders oder des Insolvenzverwalters. Außerdem bestehen Ansprüche auf ausstehende Vergütungen und Entschädigungen, die über den Insolvenzfonds abgesichert sein können.
f) Wie verhält es sich mit dem Kündigungsschutz für Seeleute?
Seeleute genießen auch im Rahmen des Seearbeitsrechts einen besonderen Kündigungsschutz. Eine Kündigung durch den Reeder oder den Kapitän muss den Vorschriften des SeeArbG entsprechen, insbesondere muss sie schriftlich erfolgen und sozial gerechtfertigt sein. In bestimmten Fällen, wie z.B. bei unzumutbaren Arbeitsbedingungen, haben Seeleute zudem das Recht, selbst das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen.
5. Rechtsprechung zu Seearbeitsrecht:
- Für das Entstehen des Urlaubsanspruchs ist nach dem BUrlG allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung. Der Urlaubsanspruch steht nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Urlaubsanspruch entsteht auch dann, wenn der Arbeitnehmer nicht arbeitet. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass dies für den Geltungsbereich des SeeArbG anders zu sehen ist (ArbG Hamburg 10.05.2016 – S 1 Ca 272/15).
- Die Ausstellung eines Seediensttauglichkeitszeugnisses durch einen hierfür zugelassenen Arzt, der die Seediensttauglichkeitsuntersuchung zuvor nicht selbst durchgeführt hat, verstößt gegen die Vorschriften über die Feststellung der Seediensttauglichkeit (OVG Hamburg 16.11.2017 – 3 Bs 243/17).
- Wird gegen ein befristetes Heuerverhältnis rechtzeitig Entfristungsklage mangels Einhaltung der vorgeschriebenen Schriftform erhoben – das Einscannen der Unterschrift in den Vertrag reicht nicht aus -, besteht das Heuerverhältnis auf unbestimmte Zeit (ArbG Hamburg 27.08.2020 – See 1 Ca 1/20).
- Keine Erteilung eines vorläufigen Seediensttauglichkeitszeugnisses für Kapitän mit Stoffwechsel- und Herzerkrankung (VG Hamburg 19.12.2013 – 15 E 4259/13).
Haben Sie Fragen? Das Seearbeitsrecht ist ein spezialisiertes und umfassendes Regelwerk, das die Arbeitsbedingungen auf See regelt und die Rechte der Seeleute schützt. Wenn Sie Unterstützung bei der Anwendung oder Auslegung des Seearbeitsrechts benötigen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
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