Arbeitsrecht in der Insolvenz

Die Insolvenz eines Arbeitgebers kann für Arbeitnehmer viele Unsicherheiten mit sich bringen. Eine der größten Sorgen ist die mögliche Kündigung. Das Insolvenzrecht bietet jedoch zahlreiche Regelungen, die den Ablauf steuern und oft auch Erleichterungen für den Insolvenzverwalter vorsehen, um das Überleben des Unternehmens zu sichern.

Nachfolgend wird auf die wesentlichen Punkte eingegangen, die Arbeitnehmer in dieser Situation beachten sollten.

1. Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf das Arbeitsverhältnis

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ändert zunächst nichts am bestehenden Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsrecht bleibt grundsätzlich bestehen. Allerdings gibt es im Insolvenzrecht spezifische Regelungen, die in §§ 113 ff. InsO festgehalten sind und die Besonderheiten für das Arbeitsverhältnis in der Insolvenz darstellen.

2. Arbeitsrechtliche Besonderheiten

Für Arbeitnehmer ergeben sich in der Insolvenz folgende Besonderheiten:

a.) Zwischenzeugnis beantragen

Wenn Ihr Arbeitgeber insolvent ist, sollten Sie unverzüglich ein Zwischenzeugnis beantragen. Wenn Ihre bisherigen Vorgesetzten das Unternehmen verlassen, besteht sonst die Gefahr, dass Ihr Anspruch auf ein Zeugnis nicht mehr erfüllt werden kann. Ein Zwischenzeugnis ist besonders wichtig, um Ihre berufliche Qualifikation nachzuweisen und sich auf neue Stellen zu bewerben.

b.) Kündigungsgrund und -schutz

Die Insolvenz an sich ist kein Kündigungsgrund. Der Insolvenzverwalter muss das Kündigungsschutzgesetz beachten. Vertraglich vereinbarte Ausschlüsse ordentlicher Kündigungen gelten jedoch nicht (§ 113 S. 1 InsO). Das bedeutet, dass Sie auch in der Insolvenz einen gewissen Kündigungsschutz genießen.

c.) Kündigungsfristen

Die Kündigungsfristen sind auf maximal drei Monate zum Monatsende beschränkt (§ 113 S. 2 InsO). Dies gilt sowohl für Kündigungen durch den Arbeitgeber als auch durch den Arbeitnehmer.

d.) Interessenausgleich mit Namensliste

Kommt es zu einem Interessenausgleich mit Namensliste, wird vermutet, dass dringende betriebliche Gründe für die Kündigung vorliegen (§ 125 InsO). Dies erleichtert betriebsbedingte Kündigungen und bietet dem Insolvenzverwalter größere Flexibilität.

e.) Personalstruktur und ältere Arbeitnehmer

§ 125 InsO ermöglicht die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur. Dies kann bedeuten, dass ältere Arbeitnehmer vorrangig gekündigt werden können. Diese Regelung dient dazu, eine effektive Sanierung des Unternehmens zu ermöglichen.

f.) Kollektives Beschlussverfahren

§ 126 InsO führt ein kollektives Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz ein. Der Insolvenzverwalter kann Kündigungen im Voraus arbeitsgerichtlich prüfen lassen. Dies bietet beiden Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – mehr Rechtssicherheit.

g.) Kündigung durch Arbeitnehmer

Auch Arbeitnehmer können insolvenzbedingt mit einer Frist von maximal drei Monaten kündigen, um schneller eine sicherere Anstellung zu finden. Diese Flexibilität kann in unsicheren Zeiten von großem Vorteil sein.

Merke

Auch der Insolvenzverwalter muss sich an das KSchG halten.

3. Arbeitnehmeransprüche in der Insolvenz

a.) Forderungen vor Insolvenzeröffnung

Forderungen auf offenes Arbeitsentgelt aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung sind einfache Insolvenzforderungen (§ 38 InsO). Diese Forderungen werden mit Beendigung des Insolvenzverfahrens lediglich quotal aus der Insolvenzmasse befriedigt. Das bedeutet, dass ein hohes Risiko besteht, dass die Gelder weitgehend verloren gehen. Diese Forderungen müssen zur Insolvenztabelle angemeldet werden.

b.) Forderungen nach Insolvenzeröffnung

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Arbeitsentgeltansprüche Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Sie können ohne weiteres verfolgt, also etwa eingeklagt werden. Zeigt der Insolvenzverwalter hingegen eine Masseunzulänglichkeit an, sind Vollstreckungen in die Masse unzulässig. Auch Masseverbindlichkeiten können dann nicht mehr erlangt werden.

4. Rechtsprechung:

  • Kündigungen durch den Insolvenzverwalter müssen den Anforderungen des KSchG entsprechen. Nach § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine sog. Massenentlassungsanzeige erstatten, bevor er in einem Betrieb eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Stellt eine insolvente Fluggesellschaft die Anzeige bei der örtlich unzuständigen Behörde, bewirkt dies die Unwirksamkeit der Kündigungen (BAG 27.02. 2020 – 6 AZR 146/19).

  • Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind – vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist. Die Kündigung darf dem Arbeitnehmer zugehen, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist (BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18).

  • Insolvente Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, für einen langjährig angestellten Schwerbehinderten nach § 164 Abs. 4 SGB IX einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den sie nach ihrem Organisationskonzept nicht mehr benötigen. Mangels geeigneter Weiterbeschäftigungsmöglichkeit kommt der Beschäftigungsanspruch nicht zum Tragen (BAG 16.05.2019 – 6 AZR 329/18).

  • Eine durch Auflösungsurteil zuerkannte Abfindung ist immer dann eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO, wenn der Insolvenzverwalter das durch § 9 Abs. 1 KSchG eingeräumte Gestaltungsrecht selbst ausübt, indem er erstmals den Auflösungsantrag stellt oder diesen erstmals prozessual wirksam in den Prozess einführt. Um eine bloße Insolvenzforderung handelt es sich demgegenüber, wenn der Insolvenzverwalter lediglich den von ihm vorgefundenen, bereits rechtshängigen Antrag des Schuldners weiterverfolgt und an dem so schon von diesem gelegten Rechtsgrund festhält (BAG 04.03.2019 – 6 AZR 4/18).

Für eine weitergehende Beratung und Vertretung in insolvenzrechtlichen Angelegenheiten stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
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