Arbeitsrecht in der Insolvenz

Möchten Sie als Arbeitnehmer mehr über Ihre Rechte in der Insolvenz Ihres Arbeitgebers erfahren? Oder suchen Sie als Arbeitgeber nach Informationen zur korrekten Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im Insolvenzfall? Dieser Artikel bietet Ihnen einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Grundlagen und die praktische Umsetzung des Arbeitsrechts in der Insolvenz.

In diesem Artikel erläutern wir die Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf das Arbeitsverhältnis (dazu unter 1.), die arbeitsrechtlichen Besonderheiten in der Insolvenz (dazu unter 2.) sowie Arbeitnehmeransprüche in der Insolvenz (dazu unter 3.)

Anschließend gehen wir auf häufig gestellte Fragen ein (dazu unter 4.) und stellen aktuelle Rechtsprechung zu diesem Thema dar (dazu unter 5.)

1. Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf das Arbeitsverhältnis

Die Insolvenzeröffnung ändert zunächst nichts an den bestehenden Arbeitsverhältnissen. Die arbeitsrechtlichen Verpflichtungen und Rechte bleiben grundsätzlich unberührt. Das Insolvenzrecht enthält jedoch spezielle Regelungen für Arbeitsverhältnisse, die in den §§ 113 ff. Insolvenzordnung (InsO) verankert sind. Diese Bestimmungen berücksichtigen die besonderen Umstände und Bedürfnisse während eines Insolvenzverfahrens und schaffen eine Balance zwischen den Rechten der Arbeitnehmer und den Erfordernissen der Insolvenzmasseverwaltung.

Wann ist ein Insolvenzverfahren durchzuführen?

Das Insolvenzverfahren ist grundsätzlich auf schriftlichen Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers vom Insolvenzgericht zu eröffnen, wenn ein “Eröffnungsgrund” gemäß §§ 16 ff. InsO vorliegt. 

In der Praxis kommt als Eröffnungsgrund bei Arbeitgebern regelmäßig die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor. Der Arbeitgeber ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Hat der Arbeitgeber seine Zahlungen eingestellt, ist ebenfalls Zahlungsunfähigkeit anzunehmen (§ 17 InsO).

Eine Überschuldung liegt hingegen vor, wenn das Vermögen des Arbeitgebers die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (§ 19 InsO).

2. Arbeitsrechtliche Besonderheiten in der Insolvenz

Im Insolvenzfall müssen Arbeitnehmer bestimmte Besonderheiten beachten, um ihre Rechte zu wahren und sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen:

a) Zwischenzeugnis beantragen

Arbeitnehmer sollten unverzüglich ein Zwischenzeugnis beantragen, sobald die Insolvenzeröffnung bekannt wird. Diese Maßnahme ist wichtig, um die berufliche Qualifikation nachzuweisen, insbesondere da die Gefahr besteht, dass der Anspruch auf ein Zeugnis nicht mehr erfüllt werden kann, wenn bisherige Vorgesetzte das Unternehmen verlassen. Ein Zwischenzeugnis unterstützt die Suche nach neuen Arbeitsplätzen und sichert den Nachweis über bisherige Tätigkeiten und Leistungen.

b) Kündigungsgrund und -schutz

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stellt keinen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Der Insolvenzverwalter muss die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) beachten, was bedeutet, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss. Vertraglich vereinbarte Ausschlüsse ordentlicher Kündigungen werden jedoch durch § 113 S. 1 InsO aufgehoben. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer auch während der Insolvenz einen gewissen Kündigungsschutz genießen, jedoch gewisse Erleichterungen für den Insolvenzverwalter bestehen.

c) Kündigungsfristen

Die Kündigungsfristen sind auf maximal drei Monate zum Monatsende beschränkt (§ 113 S. 2 InsO). Dies gilt sowohl für Kündigungen durch den Insolvenzverwalter als auch durch die Arbeitnehmer. Diese Regelung schafft Klarheit und ermöglicht beiden Parteien, sich schnell auf die veränderten Umstände einzustellen.

d) Interessenausgleich mit Namensliste

Ein Interessenausgleich mit Namensliste gemäß § 125 InsO erleichtert dem Insolvenzverwalter die betriebsbedingten Kündigungen. Durch die Namensliste wird vermutet, dass dringende betriebliche Gründe für die Kündigung vorliegen. Dies schafft Rechtssicherheit und beschleunigt das Verfahren, indem es die Notwendigkeit umfangreicher Begründungen und Überprüfungen reduziert.

e) Kollektives Beschlussverfahren

Das kollektive Beschlussverfahren nach § 126 InsO bietet die Möglichkeit, Kündigungen im Voraus arbeitsgerichtlich prüfen zu lassen. Dies erhöht die Rechtssicherheit für beide Parteien – den Insolvenzverwalter und die Arbeitnehmer – und kann dazu beitragen, unnötige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

f) Kündigung durch Arbeitnehmer

Auch Arbeitnehmer haben das Recht, insolvenzbedingt zu kündigen. Sie können mit einer Frist von maximal drei Monaten zum Monatsende kündigen, um schneller eine neue, sichere Anstellung zu finden. Diese Regelung gibt Arbeitnehmern die notwendige Flexibilität und Sicherheit in unsicheren Zeiten und erleichtert den Übergang zu neuen Beschäftigungsverhältnissen.

Merke

Auch der Insolvenzverwalter muss sich an das KSchG halten.

3. Arbeitnehmeransprüche in der Insolvenz

In der Insolvenz eines Unternehmens stehen Arbeitnehmer vor besonderen Herausforderungen hinsichtlich ihrer finanziellen Ansprüche. Die Ansprüche können dabei je nach Zeitpunkt ihrer Entstehung unterschiedlich behandelt werden.

a) Forderungen vor Insolvenzeröffnung

Arbeitsentgeltansprüche, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, gelten als einfache Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO. Diese Forderungen reihen sich in die allgemeine Masse der Gläubigerforderungen ein und werden erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens im Rahmen der Quote bedient. Dies bedeutet, dass die Arbeitnehmer nur einen anteiligen Betrag ihrer ursprünglichen Forderungen erhalten, was ein erhebliches Risiko für den Verlust eines Großteils ihrer Ansprüche darstellt.

Um diese Forderungen geltend zu machen, müssen die Arbeitnehmer ihre offenen Lohn- und Gehaltsansprüche zur Insolvenztabelle anmelden. Diese Anmeldung ist ein formaler Akt, der innerhalb einer festgelegten Frist erfolgen muss, um im weiteren Verfahren berücksichtigt zu werden. Die Insolvenzverwalter überprüfen die Forderungen und tragen diese, sofern sie berechtigt sind, in die Insolvenztabelle ein. Die Quote, die letztlich an die Gläubiger ausgezahlt wird, hängt von der verfügbaren Insolvenzmasse und der Anzahl und Höhe der angemeldeten Forderungen ab.

b) Forderungen nach Insolvenzeröffnung

Arbeitsentgeltansprüche, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, werden als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO eingestuft. Diese Verbindlichkeiten haben eine bevorzugte Stellung und sind aus der Insolvenzmasse vorab zu befriedigen. Arbeitnehmer können diese Ansprüche ohne weiteres einklagen, da sie Vorrang vor den einfachen Insolvenzforderungen haben.

Allerdings gibt es auch hier Einschränkungen: Zeigt der Insolvenzverwalter eine Masseunzulänglichkeit an, sind Vollstreckungen in die Insolvenzmasse unzulässig. Masseunzulänglichkeit bedeutet, dass die vorhandenen Mittel der Insolvenzmasse nicht ausreichen, um alle Masseverbindlichkeiten vollständig zu bedienen. In einem solchen Fall können auch die bevorzugten Masseverbindlichkeiten, einschließlich der Arbeitsentgeltansprüche, nicht mehr vollständig beglichen werden.

Um die Rechte und Ansprüche der Arbeitnehmer in dieser Situation zu wahren, bietet das Insolvenzrecht besondere Schutzmechanismen. Beispielsweise kann der Insolvenzverwalter eine Fortführung des Betriebs anstreben, um weitere Mittel zu generieren, oder es können Verhandlungen über die Reduzierung von Verbindlichkeiten geführt werden.

Diese Regelungen zeigen, dass die Behandlung von Arbeitnehmeransprüchen in der Insolvenz komplex ist und sowohl die Rechte der Arbeitnehmer als auch die Erfordernisse der Insolvenzmasse berücksichtigen muss. Arbeitnehmer sollten sich daher frühzeitig über ihre Ansprüche informieren und gegebenenfalls rechtlichen Beistand in Anspruch nehmen, um ihre Interessen wirksam zu vertreten.

4. Häufig gestellte Fragen

a) Was passiert mit meinem Arbeitsvertrag im Falle einer Insolvenz?

Ihr Arbeitsvertrag bleibt grundsätzlich bestehen. Der Insolvenzverwalter übernimmt die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis.

b) Kann der Insolvenzverwalter mich kündigen?

Ja, der Insolvenzverwalter kann Sie kündigen. Dabei muss er jedoch das Kündigungsschutzgesetz beachten und die Kündigungsfristen sind auf maximal drei Monate zum Monatsende beschränkt (§ 113 InsO).

c) Erhalte ich meinen Lohn während der Insolvenz?

Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind, gelten als einfache Insolvenzforderungen. Ansprüche nach der Insolvenzeröffnung sind Masseverbindlichkeiten und haben Vorrang.

d) Was passiert mit meinen offenen Gehaltsforderungen?

Offene Gehaltsforderungen vor der Insolvenzeröffnung müssen zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Diese Forderungen werden quotal aus der Insolvenzmasse bedient.

e) Kann ich selbst kündigen, wenn mein Arbeitgeber insolvent ist?

Ja, Sie können ebenfalls mit einer Frist von maximal drei Monaten zum Monatsende kündigen, um schneller eine neue Anstellung zu finden.

f) Muss ich weiterhin arbeiten, wenn mein Arbeitgeber insolvent ist?

Ja, Ihre Pflicht zur Arbeitsleistung bleibt bestehen, solange Ihr Arbeitsvertrag nicht gekündigt wird.

5. Rechtsprechung zu Arbeitsrecht in der Insolvenz:

  • Kündigungen durch den Insolvenzverwalter müssen den Anforderungen des KSchG entsprechen. Nach § 17 Abs. 1 KSchG muss der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine sog. Massenentlassungsanzeige erstatten, bevor er in einem Betrieb eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Stellt eine insolvente Fluggesellschaft die Anzeige bei der örtlich unzuständigen Behörde, bewirkt dies die Unwirksamkeit der Kündigungen (BAG 27.02. 2020 – 6 AZR 146/19).
  • Kündigungen im Massenentlassungsverfahren sind – vorbehaltlich der Erfüllung sonstiger Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist. Die Kündigung darf dem Arbeitnehmer zugehen, wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist (BAG 13.06.2019 – 6 AZR 459/18).
  • Insolvente Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, für einen langjährig angestellten Schwerbehinderten nach § 164 Abs. 4 SGB IX einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den sie nach ihrem Organisationskonzept nicht mehr benötigen. Mangels geeigneter Weiterbeschäftigungsmöglichkeit kommt der Beschäftigungsanspruch nicht zum Tragen (BAG 16.05.2019 – 6 AZR 329/18).
  • Eine durch Auflösungsurteil zuerkannte Abfindung ist immer dann eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO, wenn der Insolvenzverwalter das durch § 9 Abs. 1 KSchG eingeräumte Gestaltungsrecht selbst ausübt, indem er erstmals den Auflösungsantrag stellt oder diesen erstmals prozessual wirksam in den Prozess einführt. Um eine bloße Insolvenzforderung handelt es sich demgegenüber, wenn der Insolvenzverwalter lediglich den von ihm vorgefundenen, bereits rechtshängigen Antrag des Schuldners weiterverfolgt und an dem so schon von diesem gelegten Rechtsgrund festhält (BAG 04.03.2019 – 6 AZR 4/18).

Für eine weitergehende Beratung und Vertretung in insolvenzrechtlichen Angelegenheiten stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)

Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Wirtschaftsmediator (IHK)
Negotiator (EBS) · Negotiation Master Class (Harvard)

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