Scheinselbstständigkeit

Hier erfahren Sie, was Scheinselbstständigkeit ist (1.), anhand welcher Kriterien man sie feststellt (dazu unter 2.) und welche rechtlichen Risiken eine Scheinselbstständigkeit mit sich bringt (3.). Schließlich finden Sie häufig auftretende Fragen zu diesem Thema (4.) und eine Auswahl relevanter Rechtsprechung (5.).

Scheinselbstständigkeit ist in zweierlei Hinsicht ein heikles Thema. Einerseits ist – vor allem für Nicht-Juristen – kaum vorherzusehen, wie ein Gericht in Zweifelsfällen entscheiden wird. Andererseits drohen Arbeitgebern bei einem Irrtum erhebliche Kosten (vor allem für rückständige Sozialversicherungsbeiträge), Gewerbeuntersagungen und sogar strafrechtliche Verfolgung. Für Scheinselbstständige hingegen sind diese Gefahren im Falle einer Kündigung oft ein „gefundenes Fressen“, um Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung zu motivieren, damit die Scheinselbstständigkeit nicht im Rahmen eines Prozesses festgestellt wird.

1. Was ist Scheinselbstständigkeit und wann liegt sie vor?

Hier erfahren Sie, was Scheinselbstständigkeit ist (1.), anhand welcher Kriterien man sie feststellt (dazu unter 2.) und welche rechtlichen Risiken eine Scheinselbstständigkeit mit sich bringt (3.). Schließlich finden Sie häufig auftretende Fragen zu diesem Thema (4.) und eine Auswahl relevanter Rechtsprechung (5.).

Scheinselbstständigkeit ist in zweierlei Hinsicht ein heikles Thema. Einerseits ist – vor allem für Nicht-Juristen – kaum vorherzusehen, wie ein Gericht in Zweifelsfällen entscheiden wird. Andererseits drohen Arbeitgebern bei einem Irrtum erhebliche Kosten (vor allem für rückständige Sozialversicherungsbeiträge), Gewerbeuntersagungen und sogar strafrechtliche Verfolgung. Für Scheinselbstständige hingegen sind diese Gefahren im Falle einer Kündigung oft ein „gefundenes Fressen“, um Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung zu motivieren, damit die Scheinselbstständigkeit nicht im Rahmen eines Prozesses festgestellt wird.

2. Kriterien einer Scheinselbstständigkeit 

Vorab: Es gibt keinen verbindlichen Kriterienkatalog. Es gibt lediglich umfangreiche Rechtsprechung zu Indizien und ihrer Gewichtung. Das ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Viele glauben etwa, es gelte absolut: „Wer mehrere Auftraggeber hat, der ist selbstständig“. Diese oder andere Glaubenssätze sind ein Irrtum. Insbesondere Behörden sind individuelle Prüfungen wesensfremd. Vielmehr prüfen Sie stets anhand eines von ihnen selbst festgelegten Kriterienkatalogs in dem Glauben, dieser sei verbindlich oder relevant. Etwa die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund prüft anhand der eigenen Checkliste „VV027“ (zu finden auf deren Website). Keine Checkliste gilt jedoch absolut. Es sind alle Indizien im jeweiligen Einzelfall zu prüfen und zu gewichten.

Typische Kriterien sind etwa:

Arbeitnehmer

Freier Mitarbeiter

Arbeit allein

Eigene Arbeitnehmer?

Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung?

Vertretungsbefugnis

Eingliederung ins Team

Keine Zusammenarbeit mit Arbeitnehmern

Arbeitspflicht

Möglichkeit, Aufträge abzulehnen

Regelmäßige Dauertätigkeit

Projektbezug

Urlaub/Abwesenheit abstimmungspflichtig

Urlaub/Abwesenheit einseitig mitzuteilen

Arbeitsort wird vom Arbeitgeber festgelegt

Frei wählbarer Arbeitsort

Arbeitszeit wird vom Arbeitgeber festgelegt

Frei wählbare Arbeitszeit

Eigener Arbeitsplatz im Unternehmen

Kein eigener Arbeitsplatz im Unternehmen

Inhaltliche Weisungen sehr eng (typische „Arbeitgeberweisungen“)

Weisungen beschränken sich eher grob auf die Definition des Auftrags

 

 

Vergütung wesentlich für Lebensunterhalt

Vergütung nur Teil des Lebensunterhalts

Vergütungshöhe arbeitnehmertypisch

Vergütung deutlich höher als für vergleichbare Arbeitnehmer

Ein Auftraggeber

Mehrere Auftraggeber

Festgehalt

Variabel / Leistungsabhängig

Nutzung von Arbeitgeber-Equipment

Nutzung von eigenem Equipment

Kein werbendes Auftreten am Markt

Werbendes Auftreten am Markt (Website etc.)

Kein wirtschaftliches Risiko (z.B. Arbeitgeber zahlt Fortbildungen)

Wirtschaftliches Risiko

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall / bei Urlaub

Keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall / bei Urlaub

Keine eigene Niederlassung

Eigene Niederlassung

 

 

Tätigkeit typisch für Arbeitnehmer

Tätigkeit typisch für Selbstständige

Behandlung „wie ein Arbeitnehmer“ (Teilnahme an Betriebsausflügen, Betriebskantine etc.)

Behandlung wie ein Externer

Auftritt nach außen für den Auftraggeber (Visitenkarte, Unternehmensmailadresse etc.)

Auftritt nach außen in eigenem Namen

 

Merke

Es gibt keine absoluten Kriterien! Der Status ist jeweils anhand aller Umstände des Einzelfalls zu bewerten.

3. Rechtliche Konsequenzen und Risiken einer Scheinselbstständigkeit

Zu Beginn eines Rechtsverhältnisses haben oft beide Seiten ein Interesse an einer freien Mitarbeit: Der Auftraggeber ist nicht an das Arbeitsrecht (etwa Kündigungsschutzrecht) gebunden und er muss keine Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung abführen. Der freie Mitarbeiter erhält dementsprechend in der Regel eine höhere Vergütung als ein Arbeitnehmer.

Allerdings birgt es insbesondere für Arbeitgeber erhebliche Risiken, wenn sie eine Scheinselbstständigkeit praktizieren. Aus mehreren Gründen.

Steuerrechtlich droht, dass das Finanzamt den Arbeitgeber rückwirkend für nicht abgeführte Lohnsteuer in Anspruch nimmt (§ 42d EStG).

Sozialversicherungsrechtlich kann der Arbeitgeber rückwirkend bis zur Verjährung (grundsätzlich drei Jahre zum Jahresende) für den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung in Anspruch genommen werden (§ 28g SGB IV). Das entspricht ungefähr 40 % des Bruttogehalts. Es drohen also Nachzahlung in Höhe von 40 % des Bruttojahresgehalts für vier Jahre. Bei Vorsatz verlängert sich die Verjährungsfrist auf dreißig (!) Jahre (§ 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Für die Annahme von Vorsatz genügt es bereits, wenn ein Arbeitgeber die Scheinselbstständigkeit ernsthaft für möglich hält und die Möglichkeit billigend in Kauf nimmt. Darüber hinaus ist für jeden angefangenen Monat ab Fälligkeit ein Säumniszuschlag in Höhe von 1 % des rückständigen Betrages zu zahlen (§ 24 Abs. 1 SGB IV). Vom Arbeitnehmer dürfen die nachzuzahlenden Beträge jedoch nur von drei Gehaltszahlungen und ferner nur oberhalb der Pfändungsfreigrenze einbehalten werden (§ 28g S. 2 SGB IV). Letztlich bleibt also der Arbeitgeber nahezu vollständig allein auf der Beitragspflicht sitzen.

Gewerberechtlich droht der Entzug der Gewerbeerlaubnis wegen Unzuverlässigkeit (§ 35 GewO).

Schließlich droht eine Straftat wegen Lohnsteuer- und Umsatzhinterziehung (§ 370 AO) bzw. dem Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (§ 266a StGB).

Häufig führt das Thema „Scheinselbstständigkeit“ also zu einem „bösen Erwachen“, wenn das Thema entweder im Rahmen einer Betriebsprüfung oder von Seiten des Scheinselbstständigen zu Tage tritt. Scheinselbstständige nutzen häufig nach einer Kündigung die vorgenannten Risiken, indem sie eine Kündigungsschutzklage erheben. Arbeitgeber sind in diesem Fall doppelt unter Druck: Wenn der Kläger gewinnt, dann besteht nicht nur das Arbeitsverhältnis fort, sondern es ist auch eine Scheinselbstständigkeit mit den voranstehenden Folgen rechtskräftig festgestellt. Aus diesem Grund sehen sich Arbeitgeber oft veranlasst, außerordentlich hohe Abfindungen zu bezahlen, um dieses Risiko zu verhindern.

Merke

Eine Scheinselbstständigkeit erscheint zu Beginn vorteilhaft – birgt aber erhebliche Risiken, insbesondere bei der Beendigung der Zusammenarbeit.

4. Häufig gestellte Fragen zur Scheinselbstständigkeit

a) Besteht die Möglichkeit, rechtssicher feststellen zu lassen, ob eine abhängige oder eine selbstständige Beschäftigung vorliegt?

Ja, es gibt das sogenannte Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV. Durch dieses Verfahren können die Beteiligten durch die Deutsche Rentenversicherung feststellen lassen, ob die Beschäftigung sozialversicherungspflichtig ist. Allerdings kann diese Feststellung nur innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit beantragt werden.

b) Kann ein solches Statusfeststellungsverfahren auch von meinen Steuerberater durchgeführt werden?

Nein, diese Beratung muss durch einen Anwalt erfolgen. Steuerberater dürfen in diesem Verfahren nicht als Verfahrensbevöllmächtigte auftreten.

c) Ist der Geschäftsführer einer GmbH selbstständig beschäftigt?

Es kommt darauf an. Auch wenn das Arbeitsrecht auf Geschäftsführer weitgehend nicht anzuwenden ist, gilt das für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der abhängigen Beschäftigung nicht. Ist der Geschäftsführer nicht am Gesellschaftskapital beteiligt (Fremdgeschäftsführer), dann ist er grundsätzlich abhängig beschäftigt. Ein Geschäftsführer, der zugleich Gesellschafter ist, ist selbstständig, wenn er entweder mindestens 50 % des Stammkapitals hält oder ihm nach dem Gesellschaftsvertrag eine echte Sperrminorität zusteht. Diese Sperrminorität setzt wiederum voraus, dass der Geschäftsführer-Gesellschafter in allen Bereichen der Unternehmenstätigkeit Gesellschaftsbeschlüsse blockieren kann. Maßgebend ist ausschließlich der Gesellschaftsvertrag, Nebenabreden sind ohne Bedeutung (BSG 14.03.2018 – B 12 KR 13/17 R).

d) Inwiefern spielt die Höhe und die Art der Vergütung bei der Scheinselbstständigkeit eine Rolle?

Das Bundessozialgericht geht zum einen davon aus, dass eine regelmäßige Vergütung für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spricht. Umgekehrt soll variabler Lohn die typischen Chancen und Risiken eines unternehmerischen – selbstständigen – Beschäftigungsverhältnisses darstellen.

Daneben soll eine Vergütung, die „deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten“ liegt und Eigenvorsorge zulässt, ein starkes Indiz für eine selbstständige Tätigkeit sein (BSG 31.03.2017 – B 12 R 7/15 R). Ein sicheres Kriterium ist die Höhe der Vergütung aber nicht.

e) Ich habe kaum Investitionskosten und auch keine eigene Betriebsstätte. Bin ich deswegen automatisch ein Arbeitnehmer?

Nein, es kommt nach dem Bundessozialgericht darauf an, dass „alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden“ (BSG 25.04.2012 – B 12 KR 24/10 R).

Konkret bedeutet dies, dass es auf die jeweilige Beschäftigung ankommt. Bei Dienstleistungen, die größere Investitionen überhaupt nicht erfordern, kommt einem Fehlen ebendieser auch keine besondere Bedeutung zu. Gleiches gilt für eine Betriebsstätte bzw. einen gesonderten Arbeitsplatz: Ist ein solcher nach der Art der Tätigkeit gar nicht notwendig oder üblich, dann kommt diesem Indiz praktisch keine Bedeutung zu.

f) Spricht eine Fahrtkostenpauschale für längere Arbeitswege für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses?

Nein, Fahrtkostenpauschalen für längere Arbeitswege sprechen nicht für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses, denn solche Vergütungen sind auch bei Selbstständigen (etwa Handwerkern) verbreitet.

Merke

Die Rechtsprechung entscheidet von Einzelfall zu Einzelfall.

5. Rechtsprechung zur Scheinselbstständigkeit

  • Honorarärzte in Krankenhäusern sind regelmäßig nicht als Selbstständige, sondern als Beschäftigte des Krankenhauses anzusehen, wodurch sie der Versicherungspflicht unterliegen. Entscheidend für die Beurteilung ist, dass die Betroffenen weisungsgebunden bzw. in eine übergeordnete Arbeitsorganisaton eingegliedert sind. Nicht entscheidend ist, dass es sich um einen Dienst „höherer Art“ handelt; die Höhe der Vergütung allein ist nicht entscheidend (BSG 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R).
  • Honorarpflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen sind ebenfalls regelmäßig sozialversicherungspflichtig. Hierfür spreche vor allem die Eingliederung in die Organisations- und Weisungsstruktur der Pflegeeinerichtung und das geringe Unternehmensrisiko der Angestellten (BSG 07.06.2019 – B 12 R 6/18 R).
  • Musiklehrer können trotz Vorhandenseins eines Lehrplans selbstständig Beschäftigte sein. Je nach Ausgestaltung der konkreten Beziehungen kann aber genauso gut auch eine abhängige Beschäftigung vorliegen. Bei Fehlen eindeutiger Zuordnungsmerkmale kann dem zugrundeliegenden Vertrag eine gewichtige Rolle zukommen (BSG 14.03.2018 – B 12 R 3/17 R).
  • Im Rahmen des § 24 Abs. 2 SGB IV gilt ein weniger strenger Verschuldensmaßstab als innerhalb von regulären zivilrechtlichen Schuldverhältnissen. Auf § 276 BGB, der auch (leichte) Fahrlässigkeit erfasst, ist im Rahmen der von § 24 Abs. 2 SGB IV geforderten „unverschuldeten Unkenntnis“ von der Zahlungspflicht nicht abzustellen. Stattdessen wird nur derjenige mit Säumniszuschlägen sanktioniert, dem zumindest bedingter Vorsatz nachgewiesen werden kann. Dabei wird juristischen Personen als Beitragsschuldnerinnen freilich der Wissensstand derjenigen Vertreter zugerechnet, die mit der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung einer Tätigkeit betraut sind (BSG 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R).
  • Wird festgestellt, dass ein vereinbartes Dienstverhältnis tatsächlich ein Arbeitsverhältnis war, dann kann prinzipell nicht davon ausgegangen werden, dass die vereinbarte Vergütung auch für ein Arbeitsverhältnis gleichsam gelten solle. Damit fehlt der rechtliche Grund für die Leistung und der Arbeitgeber kann zu viel gezahlten Lohn nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückverlangen. Dabei muss der Arbeitgeber sich die in einem (hypothetischen) Arbeitsverhältnis geschuldete Bruttovergütung und den Arbeitgeberanteil des Sozialversicherungsbeitrags anrechnen lassen (BAG 26.06.2019 – 5 AZR 178/18).
  • Busfahrer ohne eigenes Fahrzeug sind in der Regel abhängig Beschäftigte (SG Würzburg 29.07.2011 – S 1 R 691/10).
  • Ein Linien- und Schulbusfahrer, der ohne eigene Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetzes auf vorgegebenen Touren und Routen des Unternehmers fährt, ist abhängig beschäftigt. Auch hier kommt es auf eine einzelfallbezogene Gesamtabwägung aller relevanten Indizien und Umstände an (BSG B 12 R 17/14 B).
  • Wird festgestellt, dass ein scheinbar freier Mitarbeiter in Wahrheit Arbeitnehmer war, kann der Dienstberechtigte die auf die Rechnung des Mitarbeiters gezahlte Umsatzsteuer von diesem über die Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) zurückverlangen (LAG Baden-Württemberg 22.05.2019 – 21 Sa 74/18).

Gern prüfe ich, ob in Ihrem Fall die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit besteht. Nehmen Sie hierzu jederzeit gern Kontakt zu mir auf.

Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)

Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
MBA
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator (IHK)
Negotiator (EBS) · Negotiation Master Class (Harvard)

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