Sind Sie als Arbeitgeber oder Betriebsrat unsicher, wie Sie die Interessen schwerbehinderter Mitarbeiter bestmöglich vertreten können? Oder möchten Sie mehr über die Rechte und Pflichten der Schwerbehindertenvertretung erfahren?
Im Folgenden werden die Aufgaben und Rechte der Schwerbehindertenvertretung (dazu unter 1.), typische Konfliktpunkte und Herausforderungen (dazu unter 2.), sowie praktische Tipps für die Zusammenarbeit mit der Schwerbehindertenvertretung gegeben (dazu unter 3.).
Anschließend beantworte ich häufige Fragen zu diesem Thema (dazu unter 4.) und stelle relevante Rechtsprechung dar (dazu unter 5.).
1. Aufgaben und Rechte der Schwerbehindertenvertretung
Die Schwerbehindertenvertretung (SBV) ist ein wichtiges Gremium, das die Interessen der schwerbehinderten Mitarbeiter im Betrieb vertritt. Ihre Rechte und Pflichten sind im Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) verankert.
a) Wahl und Zusammensetzung der Schwerbehindertenvertretung
Die Schwerbehindertenvertretung wird von den schwerbehinderten und gleichgestellten Mitarbeitern in Betrieben mit mindestens 5 schwerbehinderten Menschen gewählt, die nicht nur vorübergehend im Betrieb tätig sind (§ 177 Abs. 1 SGB IX).
Wird die Mindestanzahl von fünf Personen während der Amtszeit unterschritten, endet das Amt der Schwerbehindertenvertretung nicht vorzeitig (BAG 19.10.2022 – 7 ABR 27/21).
Wahlberechtigt sind alle schwerbehinderten und gleichgestellten Mitarbeiter. Die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung beträgt in der Regel vier Jahre. Sie besteht aus der Vertrauensperson und mindestens einem Stellvertreter.
Wählbar sind alle in dem Betrieb nicht nur vorübergehend Beschäftigte über 18 Jahren, die seit mehr als 6 Monaten im Betrieb tätig sind.
b) Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung
Die SBV hat die Aufgabe, die besonderen Interessen der schwerbehinderten Mitarbeiter zu vertreten (§ 178 SGB IX). Dazu gehört:
- Überwachung der Einhaltung von Gesetzen: Die SBV überwacht, ob die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz und zur Förderung schwerbehinderter Menschen eingehalten werden.
- Anträge und Anregungen: Die SBV kann Anträge und Anregungen zu Maßnahmen stellen, die den schwerbehinderten Mitarbeitern dienen.
- Beratung und Unterstützung: Die SBV berät und unterstützt die schwerbehinderten Mitarbeiter bei Fragen und Problemen rund um Arbeit und Arbeitsbedingungen.
- Förderung der Eingliederung: Die SBV fördert die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb und setzt sich für barrierefreie Arbeitsplätze ein.
c) Rechte der Schwerbehindertenvertretung
Die SBV hat umfassende Informations- und Mitbestimmungsrechte (§ 178 SGB IX):
- Teilnahmerecht an Betriebsratssitzungen: Die SBV darf an allen Sitzungen des Betriebsrats teilnehmen, wenn Angelegenheiten behandelt werden, die die schwerbehinderten Mitarbeiter betreffen.
- Stimmrecht: In Angelegenheiten, die ausschließlich die schwerbehinderten Mitarbeiter betreffen, hat die SBV ein Stimmrecht im Betriebsrat.
- Informationsrecht: Die SBV hat das Recht, von der Geschäftsführung über alle Angelegenheiten informiert zu werden, die die schwerbehinderten Mitarbeiter betreffen.
- Zustimmungsverweigerung: Die SBV kann bei bestimmten personellen Maßnahmen, wie Einstellungen, Versetzungen oder Kündigungen, ihre Zustimmung verweigern.
2. Typische Konfliktpunkte und Herausforderungen
a) Arbeitsplatzgestaltung und Barrierefreiheit
Ein zentraler Konfliktpunkt stellt die Gestaltung barrierefreier Arbeitsplätze dar. Die SBV ist gemäß § 178 SGB IX verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass Arbeitsplätze den besonderen Bedürfnissen schwerbehinderter Menschen gerecht werden und bestehende Barrieren beseitigt werden. Konflikte entstehen häufig, wenn Arbeitgeber diese Anforderungen nicht umsetzen oder die damit verbundenen Kosten als unverhältnismäßig hoch einschätzen. In solchen Fällen muss die SBV die rechtlichen Vorgaben und Fördermöglichkeiten, etwa durch die Integrationsämter, geltend machen, um eine angemessene Arbeitsplatzgestaltung durchzusetzen.
b) Diskriminierung und Benachteiligung
Die Vermeidung von Diskriminierung und Benachteiligung schwerbehinderter Mitarbeiter ist eine Kernaufgabe der SBV. Konflikte entstehen insbesondere dann, wenn schwerbehinderte Mitarbeiter Diskriminierungserfahrungen machen oder das Gefühl haben, benachteiligt zu werden, etwa bei der Vergabe von Arbeitsaufgaben, bei Beförderungen oder bei der Gestaltung der Arbeitszeiten. Die SBV muss hier einschreiten, um die Einhaltung des Benachteiligungsverbots gemäß § 7 AGG sicherzustellen und gegebenenfalls arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen, um die Rechte der schwerbehinderten Mitarbeiter zu wahren.
c) Integration und Zusammenarbeit
Die Integration schwerbehinderter Mitarbeiter in den Betriebsalltag stellt ebenfalls eine große Herausforderung dar. Die SBV hat dafür zu sorgen, dass die besonderen Bedürfnisse schwerbehinderter Mitarbeiter berücksichtigt werden und diese angemessen integriert werden. Häufig entstehen Herausforderungen, wenn es an Verständnis oder Unterstützung seitens der Kollegen oder der Geschäftsführung mangelt. In solchen Fällen muss die SBV Aufklärungsarbeit leisten und für eine Sensibilisierung der Belegschaft sorgen. Sie kann zudem auf die Verpflichtung des Arbeitgebers hinweisen, schwerbehinderte Mitarbeiter zu fördern und geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit zu ergreifen.
3. Praktische Tipps für die Zusammenarbeit mit der Schwerbehindertenvertretung
Der Betriebsrat sollte die SBV aktiv unterstützen und ihre Anliegen ernst nehmen. Regelmäßige gemeinsame Sitzungen und eine enge Zusammenarbeit fördern das gegenseitige Verständnis und die Durchsetzung der Interessen der schwerbehinderten Mitarbeiter.
Die Mitglieder der SBV sollten regelmäßig geschult werden, um ihre Aufgaben kompetent wahrnehmen zu können. Dies umfasst sowohl rechtliche Schulungen als auch Seminare zur barrierefreien Arbeitsplatzgestaltung und zur Konfliktlösung.
Eine offene und transparente Kommunikation zwischen SBV, Betriebsrat und Geschäftsführung ist entscheidend. Regelmäßige Informationsveranstaltungen und Gespräche helfen, Missverständnisse zu vermeiden und gemeinsame Lösungen zu finden.
Die Arbeit der SBV sollte anerkannt und wertgeschätzt werden. Dies kann durch die Teilnahme an betrieblichen Entscheidungsprozessen, aber auch durch Anerkennung ihrer Arbeit in der betrieblichen Kommunikation geschehen.
4. Häufige Fragen zur Schwerbehindertenvertretung
a) Wer darf wählen und gewählt werden?
Wahlberechtigt sind alle schwerbehinderten und gleichgestellten Mitarbeiter des Betriebs. Wählbar sind alle schwerbehinderten und gleichgestellten Mitarbeiter, die dem Betrieb mindestens sechs Monate angehören.
b) Wie wird die Schwerbehindertenvertretung gewählt?
Die Wahl der SBV erfolgt in geheimer und unmittelbarer Wahl. Die Wahl wird von einem Wahlvorstand organisiert, der aus drei Wahlberechtigten besteht. Die Amtszeit der SBV beträgt in der Regel vier Jahre.
c) Welche Rechte hat die SBV in Betriebsratssitzungen?
Die SBV darf an allen Betriebsratssitzungen teilnehmen, wenn Angelegenheiten behandelt werden, die die schwerbehinderten Mitarbeiter betreffen. In solchen Angelegenheiten hat die SBV ein Stimmrecht.
d) Was passiert, wenn der Arbeitgeber die SBV ignoriert?
Wenn der Arbeitgeber die SBV ignoriert oder ihre Rechte verletzt, kann die SBV Beschwerde beim Betriebsrat einlegen. Der Betriebsrat kann dann entsprechende Maßnahmen ergreifen und, wenn nötig, rechtliche Schritte einleiten.
e) Welche Rolle spielt die SBV bei Betriebsänderungen?
Die SBV hat das Recht, bei Betriebsänderungen, die die schwerbehinderten Mitarbeiter betreffen, beteiligt zu werden. Sie kann Anträge beim Betriebsrat stellen und hat ein Mitbestimmungsrecht in entsprechenden Angelegenheiten.
5. Rechtsprechung zum Thema Schwerbehindertenvertretung:
- Das Amt der Schwerbehindertenvertretung endet nicht vorzeitig, wenn die für ihre Wahl notwendige Mindestanzahl von fünf nicht nur vorübergehend beschäftigten schwerbehinderten Beschäftigten im Betrieb oder in der Dienststelle während der Amtszeit unterschritten wird (BAG 19.10.2022 – 7 ABR 27/21).
- Beansprucht die Vermittlung einer Schulungsveranstaltung für die Vertrauensperson mehr als 50 % der benötigten Kenntnisse, dann kann die Schwerbehindertenvertretung die Schulung für die Vertrauensperson für erforderlich halten. Die arbeitsgerichtliche Kontrolle, ist darauf beschränkt, ob in der Schulung Kenntnisse vermittelt werden, die für die Arbeit der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sind, und ob der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Mitteln steht (BAG 08.06.2016 – 7 ABR 39/14).
- Hat ein als behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 30 anerkannter Arbeitnehmer die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt, ist der Arbeitgeber nicht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung von der beabsichtigten Umsetzung dieses Arbeitnehmers (vorsorglich) zu unterrichten und sie hierzu anzuhören, wenn über den Gleichstellungsantrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden ist (BAG 11.04.2020 – 7 ABR 18/18).
- Anfechtung der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung: Anders als § 5 BetrVG knüpft § 177 Absatz 2 SGB IX nicht an den Arbeitnehmerbegriff, sondern an den Begriff des “Beschäftigten” an. Eine Beschäftigung setzt ein Arbeitsverhältnis nicht zwingend voraus. Behinderte Menschen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten, wenn sie nicht Arbeitnehmer sind, zu diesem in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis stehen, sind damit – auch wenn sie einen Werkstattrat wählen – gleichwohl im Betrieb beschäftigte schwerbehinderte Menschen (LAG Hessen 13.11.2023 – 16 TaBV 72/23).
Gerne berate ich Sie zu allen Fragen rund um die Schwerbehindertenvertretung und unterstütze Sie bei der Umsetzung rechtlicher Vorgaben und der Integration schwerbehinderter Mitarbeiter in Ihren Betrieb.
Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Negotiator (EBS) · Negotiation Master Class (Harvard)
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