1. Interessensausgleich
Ein Interessenausgleich (§ 111 BetrVG) ist eine Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, in dem geregelt wird, wie eine Restrukturierung in einem Unternehmen umgesetzt wird. Ein Arbeitgeber muss mit seinem Betriebsrat einen Interessenausgleich verhandeln, wenn er eine Betriebsänderung beabsichtigt. Ob das der Fall ist, regelt § 111 BetrVG. Vereinfacht ist dort geregelt, dass eine Betriebsänderung vorliegt, wenn der Betrieb in einem ausreichenden Umfang verändert wird, wozu insbesondere – aber nicht nur – die Verkleinerung des Betriebs gehört. Im Interessenausgleich ist dann z.B. geregelt, welche Arbeitnehmer von der Strukturänderung betroffen sind und wie die Organisation des Betriebs in Zukunft ist. Besteht die Betriebsänderung in einem Stellenabbau, ist ferner oftmals auch eine Namensliste verhandelt. Das ist eine Liste der Arbeitnehmer, die eine betriebsbedingte Kündigung erhalten. Wird eine solche Namensliste vereinbart, dann prüfen Gerichte die Sozialauswahl nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit (§ 1 Abs. 5 KSchG). Die Regelungen im Interessenausgleich gelten nicht normativ, das heißt, Arbeitnehmer können nicht unmittelbar gerichtlich ihre Einhaltung erzwingen.
2. Sozialplan
Ein Sozialplan (§ 112 BetrVG) ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, in dem geregelt wird, wie die mit einer Betriebsänderung einhergehenden wirtschaftlichen Nachteile für Arbeitnehmer abgemildert werden. Wird etwa ein Sozialplan zum Personalabbau verhandelt, dann sind darin typischerweise Abfindungsregelungen enthalten. Auch wenn es sich rechtlich um zwei unterschiedliche Vereinbarungen handelt, werden diese oft in einem Dokument („Interessenausgleich und Sozialplan“) niedergelegt. Im Gegensatz zum Interessenausgleich haben Arbeitnehmer unmittelbar einklagbare Ansprüche auf dasjenige, was im Sozialplan als Anspruch geregelt ist – zum Beispiel eine Abfindung nach einer betriebsbedingten Kündigung. Arbeitnehmer können auf Ansprüche aus einem Sozialplan nur mit Zustimmung des Betriebsrats verzichten (§ 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG).
Es kann sein, dass ein Interessenausgleich Kündigungen vorsieht. Dann sind üblicherweise die in einem Sozialplan geregelten Abfindungen für den Arbeitgeber verpflichtend. Ebenso kann es aber auch sein, dass ein Personalabbau ohne Kündigungen geplant ist, also nur durch freiwillige Fluktuation. Dann enthält der Sozialplan typischerweise Abfindungsregelungen, auf die ein Arbeitnehmer aber keinen Rechtsanspruch hat, sondern die in der Regel unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt auch für den Arbeitgeber stehen.
3. Einsichtsnahmerecht in den Sozialplan
Das Einsichtnahmerecht in den Sozialplan ist für Arbeitnehmer besonders wichtig, um zu verstehen, welche konkreten Regelungen für sie im Falle einer Betriebsänderung gelten. Es ermöglicht ihnen, sich über ihre Rechte und Pflichten im Rahmen der betrieblichen Umstrukturierungen zu informieren und gegebenenfalls rechtliche Schritte zu ergreifen, wenn sie der Meinung sind, dass der Sozialplan ihre Interessen nicht ausreichend berücksichtigt.
Während es kein direktes gesetzliches Einsichtnahmerecht für jeden einzelnen Arbeitnehmer gibt, ist der Betriebsrat verpflichtet, Transparenz zu schaffen und den betroffenen Arbeitnehmern Zugang zu den relevanten Informationen zu gewähren.
Einsichtnahmerecht der Arbeitnehmer
Arbeitnehmer, die von einer Betriebsänderung betroffen sind, haben ein berechtigtes Interesse daran, den Sozialplan einzusehen. Das Einsichtnahmerecht ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz des Rechts auf Information und dem Betriebsverfassungsrecht (§ 77 Abs. 2 BetrVG), da es sich bei dem Sozialplan um eine Betriebsvereinbarung handelt.
Betriebsrat als Vermittler: Der Betriebsrat ist verpflichtet, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten und hat daher die Pflicht, die Arbeitnehmer über die Inhalte des Sozialplans zu informieren. Dies kann durch allgemeine Informationen oder durch Gewährung der Einsichtnahme in den Sozialplan geschehen.
Direktes Einsichtnahmerecht: Es gibt kein ausdrückliches gesetzliches Recht, das jedem Arbeitnehmer individuell die Einsicht in den gesamten Sozialplan gewährt. Jedoch besteht die Möglichkeit, dass der Betriebsrat den Arbeitnehmern auf Nachfrage die Einsichtnahme ermöglicht. Dies geschieht in der Regel, um die Transparenz zu gewährleisten und das Vertrauen in die getroffenen Regelungen zu stärken.
Schutz von sensiblen Informationen: Bei der Einsichtnahme muss jedoch beachtet werden, dass sensible Informationen, die einzelne Arbeitnehmer betreffen, geschützt werden. Das bedeutet, dass personenbezogene Daten aus datenschutzrechlichen Aspekten, die nicht den Einsicht nehmenden Arbeitnehmer betreffen, anonymisiert oder geschwärzt werden sollten.
Arbeitnehmer sollten sich bei Unsicherheiten oder Unklarheiten an ihren Betriebsrat wenden, um ihr Recht auf Information wahrzunehmen und ihre Interessen zu wahren.
4. Häufige Fragen zum Interessenausgleich und zum Sozialplan
a) Wie hoch ist meine Abfindung?
Wie hoch die Abfindung ausfällt, richtet sich nach dem Inhalt des Sozialplanes. Oftmals finden sich dazu komplexe Formeln im Sozialplan, die Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Familienstand, Alter oder ähnliches berücksichtigen. Deren Inhalt sollte jedoch einer kritischen Prüfung unterzogen werden, da sich hier häufig Fehler einschleichen. Oft sind die Regelungen fehlerhaft oder unklar und es schleichen sich Berechnungsfehler zu Lasten von Arbeitnehmern ein. Für weitere Informationen zu den maßgeblichen Faktoren der Abfindungshöhe lesen sie gerne meinen Newsletter-Artikel: “Die Verhandlung einer Abfindung – Wovon hängt die Höhe der Abfindung ab?”.
b) Sollte ich eine Abfindung nach einem Sozialplan annehmen?
Das kommt auf mehrere Faktoren an. Insbesondere stellen sich die Fragen,
- ob ihr Angebot korrekt berechnet und keine Ansprüche vergessen worden sind;
- wie Ihre Aussichten auf eine Nachverhandlung oder im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens wären;
- ob Sie bereits einen neuen Job haben.
Davon hängt ab, ob es sinnvoll ist, nachzuverhandeln. Gern können wir diese Aspekte in einem Gespräch erörtern.
c) Was kostet es, meine Sozialplanabfindung anwaltlich prüfen zu lassen?
Die Erstberatungsgebühr ist nach § 34 Abs. 1 RVG geregelt und beträgt 190 Euro zzgl. Umsatzsteuer.
d) Verliere ich meinen Abfindungsanspruch, wenn ich Klage erhebe?
Einen Anspruch auf eine Sozialplanabfindung verlieren Sie nicht dadurch, dass Sie trotzdem gegen die Kündigung vorgehen (vgl. BAG 09.12.2014 – 1 AZR 146/13).
e) Kann ich trotz Interessenausgleich und Sozialplan Klage gegen meine Kündigung erheben?
Ja. Der Umstand, dass ein Interessenausgleich abgeschlossen wurde bzw. ein Sozialplan greift, schließt eine Kündigungsschutzklage nicht aus. Das gilt auch dann, wenn der Interessenausgleich eine Namensliste enthält, auf der sie stehen. Die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage wären im Einzelfall zu erörtern.
f) Erhalte ich eine Sozialplanabfindung auch, wenn ich selbst kündige?
Das hängt davon ab, was im Sozialplan als Voraussetzung für den Abfindungsanspruch geregelt ist. Oft ist z.B. geregelt, dass auch bei einer Arbeitnehmerkündigung ein Anspruch entsteht, wenn die Kündigung auf Veranlassung des Arbeitgebers erfolgt oder ähnliches. Das kann ich gern für Sie im Erstgespräch prüfen.
g) Darf mein Arbeitgeber mir eine geringere Abfindung anbieten, als im Sozialplan vorgesehen?
Der bestehende Sozialplan ist für betroffene Arbeitnehmer verbindlich. Wenn ein Arbeitnehmer einen Anspruch aus dem Sozialplan hat, dann kann er nicht darauf verzichten. Es ist also auch nicht möglich, eine geringere Abfindung zu vereinbaren. In diesem Fall würde teilweise auf die Abfindung verzichtet. Wenn ihr Arbeitgeber Ihnen eine niedrigere als die Sozialplanabfindung anbietet, sprechen Sie uns gern an.
h) Nach welchen Faktoren wird die Abfindung berechnet?
In jedem Sozialplan können andere Berechungsfaktoren vereinbart werden. Typischerweise hängt die Abfindung vom Alter des Arbeitnehmers, seinem Familienstand bzw. Unterhaltspflichten, Schwerbehinderungen und der Betriebszugehörigkeit. Üblich ist es auch, dass die Abfindung wieder sinkt, wenn Arbeitnehmer kurz vor der Rente stehen.
i) Kann ich auch eine Abfindung verhandeln, wenn ich keinen Anspruch auf Grundlage eines Sozialplans habe?
Ja. Oft werden Sozialpläne bzw. darin vorgesehene Abfindungen auch angewendet auf Arbeitnehmer, die keinen Rechtsanspruch darauf haben. Es spricht also viel dafür, das zu versuchen.
j) Was ist der Unterschied zwischen einem Interessenausgleich und einem Sozialplan?
Der Interessenausgleich (§ 111 BetrVG) regelt den Inhalt einer Betriebsänderung, also was tatsächlich wie geändert wird. Der Sozialplan (§ 112 BetrVG) regelt Ansprüche von betroffenen Arbeitnehmern, um ggf. deren wirtschaftliche Nachteile auszugleichen. Oft werden Interessenausgleich und Sozialplan in einem Dokument niedergelegt.
k) Was passiert, wenn der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durchführt, ohne mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich verhandelt zu haben?
In diesem Fall haben die betroffenen Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber sich nicht an einen vereinbarten Interessenausgleich hält.
l) Welche Steuern und Abgaben muss ich auf meine Sozialplan-Abfindung zahlen?
Auf Sozialplanabfindungen ist die volle Einkommenssteuer zu zahlen. Im Auszahlungsmonat wird sie deshalb hoch versteuert. Allerdings kann die sogenannte „Fünftelregelung“ greifen. Das müssen Sie im Rahmen Ihrer Jahressteuererklärung angeben. Vereinfacht formuliert wird dann die Abfindung gefünftelt und auf dieser Grundlage die Jahressteuer berechnet und die Differenz zur Jahressteuer ohne Abfindung wiederum verfünffacht. Im Ergebnis wird dadurch die Steuerlast nach der Jahressteuererklärung deutlich reduziert, sodass es in der Regel noch zu einer beträchtlichen Nachzahlung kommt. Das berechnet Ihnen im Zweifel Ihr Steuerberater.
Allerdings sind auf die Abfindung keine Sozialabgaben (Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu zahlen. Damit werden ca. 20 % weniger vom Brutto abgezogen als bei demselben Betrag, wäre er reguläres Arbeitsentgelt.
Werden Sie arbeitslos, erhalten Sie ggf. unmittelbar Arbeitslosengeld. Die Sozialplanabfindung ist darauf nicht anzurechnen.
5. Rechtsprechung zu Interessenausgleich und Abfindung nach Sozialplan
- In Sozialplänen dürfen ältere Mitarbeiter bei der Berechnung der Abfindung benachteiligt werden, wenn sie rentennah sind, weil sie durch den bevorstehenden Renteneintritt weniger auf eine Abfindung angewiesen sind als jüngere (BAG 16.07.2019 – 1 AZR 842/16)
- Sind in einem Interessenausgleich Festlegungen über die zu kündigenden Arbeitnehmer getroffen, ohne diese namentlich zu nennen, stellt das keine Namensliste im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG dar, die die Darlegungslast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozess reduziert (BAG 27.06.2019 – 2 AZR 50/19).
- Schwerbehinderte, die eine Schwerbehindertenrente beziehen, dürfen in Sozialplänen nicht schlechter gestellt werden als nicht behinderte Arbeitnehmer (BAG 17.11.2015 – 1 AZR 938/13)
- Für Tendenzbetriebe (§ 118 Abs. 1 BetrVG) gilt die Sozialplanpflicht bei Betriebsänderungen, allerdings muss kein Interessenausgleich versucht werden (BAG 30.03.2004 – 1 AZR 7/03).
- Sozialpläne sind Betriebsvereinbarungen, sodass alle Regelungen über Betriebsvereinbarungen auf sie anwendbar sind (BAG 11.11.2008 – 1 AZR 475/07).
- Bei einer Konkurrenz zwischen einem Tarifvertrag und einem Sozialplan gilt das Günstigkeitsprinzip, es gelten also der für den betroffenen Arbeitnehmer günstigeren Sachgruppenregelungen (BAG 06.12.2006 – 4 AZR 798/05).
- Im Gemeinschaftsbetrieb ist grundsätzlich nur der jeweilige Vertragsarbeitgeber für die Sozialplanverhandlungen verantwortlich, sinnvollerweise können und sollten Arbeitgeber sich aber auch zum Zwecke von Sozialplanverhandlungen zusammenschließen (BAG 12.11.2002 – 1 AZR 632/01).
Wenn Sie Fragen zum Interessenausgleich oder Sozialplan haben oder Hilfe etwa bei der Verhandlung einer Abfindung, melden Sie sich gern.
Dr. Daniel Weigert, LL.M. (Lund)
Rechtsanwalt · Fachanwalt für Arbeitsrecht
MBA
Data Protection Risk Manager
Wirtschaftsmediator (IHK)
Negotiator (EBS) · Negotiation Master Class (Harvard)
Ballindamm 6 · 20095 Hamburg
t +49 40 2285 11210
dw@danielweigert.de